Audiodatei

Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat

Folge 1 - „Hate Speech“ Ein Gespräch mit Eva Kühne-Hörmann

Die ehemalige Justizministerin Eva Kühne-Hörmann berichtet zum Phänomen "Hate Speech" und erläutert die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft im Rahmen der Kooperation "KeineMachtdemHass".

Adina Murrer
Hallo und herzlich willkommen zu unserem Podcast „Zeit für Justitia - der Justiztalk aus Hessen“. Mein Name ist Adina Murrer und ich wünsche uns eine spannende Sendung. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlich willkommen zu unserem Podcast. In unserer ersten Folge begrüße ich die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann.

Eva Kühne-Hörmann
Ja, vielen Dank. Ich freue mich, dass wir heute mit einem neuen Format starten. Der Podcast als zusätzliches Informationsmedium bietet neue Möglichkeiten, um über die hessische Justiz zu informieren und deshalb begrüße ich Sie alle, die eingeschaltet haben. Mit unserem Podcast wollen wir aktuelle Themen der hessischen Justiz vorstellen. Gute Antworten auf schwierige Fragen liefern und dabei spannende Einblicke in die Arbeitswelt der Justiz bieten. Auch interessante Gastbeiträge sowie Hintergrundberichte werden dabei sein.

Adina Murrer
In unserer ersten Sendung soll es um das Thema Hass und Hetze im Netz gehen. Wir alle haben mitbekommen, dass es vor und nach dem Tod von Dr. Walter Lübcke zu schrecklichen Äußerungen im Internet gekommen ist, vor allem auf den Social-Media-Plattformen. Auch nach dem Terrorakt in Hanau gab es viele Hasskommentare und Anfeindungen, die einen sprachlos zurückgelassen haben. Frau Ministerin, was hat sich Ihrer Ansicht nach während der Corona Krise in diesem Themenfeld verändert?

Eva Kühne-Hörmann
Wir verzeichnen einen starken Anstieg in diesem Themenfeld und das liegt daran, dass durch die Kontaktsperre viele Menschen zu Hause sind, im Homeoffice arbeiten, sich in Kurzarbeit befinden und wir alle mehr Zeit im Netz verbringen. Die Verrohung der Sprache ist im Netz drastisch gestiegen. Das liegt wohl auch daran, dass man sein Gegenüber nicht sieht, keine Reaktionen wahrnimmt und alle Hemmungen fallen können.

Adina Murrer
Können aus Worten aus dem Netz auch Taten in der Realität folgen?

Eva Kühne-Hörmann
Klares Ja. Wir wissen, dass die Radikalisierung im Netz erfolgt und daraus Taten werden können. Der furchtbare Mord an unserem Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke. Der Anschlag in Hanau. Diese Ereignisse zeigen das beispielhaft.

Adina Murrer
Frau Ministerin, was unternimmt der Rechtsstaat gegen Hasskriminalität im Netz?

Eva Kühne-Hörmann
Eine zentrale Rolle in diesem Kontext spielt die ZIT. Das ist die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, unsere spezialisierten "Internet-Staatsanwälte". Die ZIT ist in der Vergangenheit durch ihre äußerst erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt hervorgetreten und hat beachtliche Ermittlungserfolge zu präsentieren. Mein Dank geht an die engagierten Staatsanwälte, die gerade aber auch bei den Ermittlungen im Bereich der Kinderpornografie Straftaten ermitteln und Bilder sehen, die man kaum selbst verarbeiten kann. Ich habe großen Respekt vor allen, die mit diesen Themen jeden Tag umgehen. Beim Thema Hass und Hetze bewerten die Staatsanwälte strafbare Inhalte, versuchen die Täter zu identifizieren und die Anklagen zu erheben.

Adina Murrer
Sie haben eben geschildert, wie der Rechtsstaat gegen Hasskriminalität im Netz vorgehen kann. Doch wie kann nun jeder Einzelne von uns bei der Bekämpfung von Hate Speech helfen?

Eva Kühne-Hörmann
Wir sind auf die Mithilfe aus der Zivilbevölkerung angewiesen. Der Staat alleine kann nicht Unmengen an Hass und Hetze im Internet finden. Jeder kann Sachverhalte melden. Seit 2009/10 gibt es in Hessen eine Kooperationsvereinbarung unter dem Projektnamen "Keine Macht dem Hass" mit Nichtregierungsorganisationen, den sogenannten NGOs wie „Hate Aid“, „Reconquista Internet“ oder "Ich bin hier", die zusammen mit dem Land Hessen sich dem Kampf gegen Hass im Netz gewidmet haben. Und diese NGOs beschäftigen sich fast ausschließlich mit diesen Themen und verfügen über gute Netzwerke.

Adina Murrer
Wie kann man sich die Arbeit der NGOs hierbei vorstellen? Also was machen Sie konkret?

Eva Kühne-Hörmann
Wir haben ein Meldesystem entwickelt, über das die zivilen Organisationen den Staatsanwälten strafrechtlich relevante Hasspostings Beweis sichern übermitteln können und dies äußerst erfolgreich. Seit dem Start der Kooperation sind bislang knapp 20000 Hinweise bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität eingegangen. Etwa 60 Prozent der geprüften Meldungen sind dabei strafrechtlich relevant. Man sieht an dem herausragenden Erfolg, dass das Bedürfnis der Bevölkerung nach Ahndung von Hass und Hetze riesig ist. Dieses Bedürfnis greifen wir gerne auf und helfen, soweit wir können. Klar ist aber auch, ohne erweiterte Ermittlungsmöglichkeiten im Netz werden unsere Anstrengungen kaum erfolgversprechend sein. Denn ohne Möglichkeit, zum Beispiel die Identität eines Täters festzustellen, kann dieser sich im Schutze der Anonymität des Netzes versteckt halten. Es reicht eben nicht, das Ziel Kampf gegen Hate Speech zu formulieren. Man muss dann auch bereit sein, den Ermittlungsbehörden die erforderlichen Werkzeuge in die Hand zu geben.

Adina Murrer
Frau Ministerin, was meinen Sie damit? An welche Werkzeuge denken Sie dabei?

Eva Kühne-Hörmann
Zu unserem Konzept gegen Hate Speech gehören vor allem Gesetzesinitiativen, die Ermittlungsmaßnahmen erleichtern und auch in den Straftatbeständen Änderungen vorsehen. Die Bundesregierung hat kürzlich mit der Vorlage des überarbeiteten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Hasskriminalität im Netz einen kleinen Schritt gemacht. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass die Betreiber sozialer Netzwerke schwere Straftaten wie Morddrohungen, Volksverhetzung oder Billigung von Hassverbrechen dem Bundeskriminalamt melden müssen. Ich begrüße den grundsätzlichen Ansatz des neuen Gesetzes, aber ich stelle fest, dass das Gesetz trotz erfolgter Nachbesserungen im Gesetzgebungsverfahren noch immer Schwächen aufweist.

Adina Murrer
Was fehlt denn genau und wo muss nachgebessert werden?

Eva Kühne-Hörmann
Ich möchte ein Beispiel nennen. Wir in Hessen haben unter anderem eine Bundesratsinitiative unterstützt, die bereits im Rechtsausschuss des Bundesrates beraten wurde. Die Initiative möchte erreichen, dass das Markt-Ort-Prinzip eingeführt wird. Ausländische Netzwerke müssen sich endlich unseren Gesetzen unterwerfen und den deutschen Strafverfolgungsbehörden direkt beweiserhebliche Daten herausgeben. Bisher können sich Unternehmen wie Facebook und Twitter dem nämlich häufig dadurch entziehen, dass sie auf dem Weg der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen verweisen mit der Begründung, die abgefragten Daten seien im Ausland gespeichert.
Im Übrigen braucht auch das Strafgesetzbuch ein digitales Update. Dabei spielt die Änderung des Volksverhetzungsparagraphen im Strafgesetzbuch eine Rolle, denn dieser ist nicht mehr zeitgemäß. Hass und Hetze im Netz beginnt regelmäßig in geschlossenen Foren im Internet. Die hier verbreitete Volksverhetzung ist nach aktueller Gesetzeslage nicht strafbar. Dies darf nicht hingenommen werden. Es darf keine rechtsfreien Räume im Internet geben, in denen die Saat für Extremismus, Radikalismus und Antisemitismus in der Öffentlichkeit gesetzt wird.

Adina Murrer
Wenn Personen von Hass und Hetze betroffen sind, wie kann ihnen dann, also den Opfern, aus dem Netz geholfen werden?

Eva Kühne-Hörmann
Zum einen haben wir ein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen in Hessen, die kostenlose Hilfeleistung anbieten und an die sich jeder wenden kann. Zum anderen bieten die Nichtregierungsorganisationen Hilfe an im Netz unter anderem Beweissicherung vorzunehmen, um den Ermittlungsbehörden die Möglichkeit zu eröffnen, die Täter zu überführen und zu bestrafen und dafür zu sorgen, dass die Hasskommentare aus dem Netz verschwinden. Natürlich haben wir auch begonnen, Präventionsprojekte gegen Hass und Hetze im Netz zu initiieren, von denen ich mir viel verspreche. Aber klar ist, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, im Netz online und auf der Straße offline respektvoller miteinander umzugehen. Dafür werde ich weiterhin eintreten.

Adina Murrer
Liebe Frau Kühne-Hörmann, vielen Dank für das interessante Gespräch und für die spannenden Einblicke in das Thema zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet. Damit sind wir auch schon am Ende unserer ersten Folge. Ich freue mich für die nächste Sendung den Präsidenten des Staatsgerichtshof, Dr. Roman Poseck, ankündigen zu können. Mit Herrn Dr. Poseck werde ich über die Rolle der hessischen Justiz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sprechen. Auch wenn die Erinnerung an dem Tag der Befreiung, dem 8. Mai, schon ein paar Tage zurückliegt, wollen wir uns dennoch diesem wichtigen und interessanten Thema widmen.

In unserer ersten Podcaststaffel darf ich in den kommenden Folgen auch den VGH-Präsidenten Herrn Schönstatt begrüßen, ebenso den Präsidenten Herrn Merle von der Finanzgerichtsbarkeit als auch Herr Woitaschek, LAG-Präsident. Es werden auch dabei sein, Herr Dr. Seitz von der Sozialgerichtsbarkeit als auch die Präsidentin der IT-Stelle, Frau Richter. Ich freue mich und ich hoffe, Sie schalten wieder ein, wenn es heißt: "Zeit für Justitia - der Justiztalk aus Hessen".