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Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat

Folge 15 - Hass und Hetze im Netz (3) – Ein Gespräch mit der Organisation „Ichbinhier“

Zu Gast in der aktuellen Folge ist Juliane Chakrabarti. Sie ist Vorstandsmitglied bei "ichbinhier". Wir reden über das ehrenamtliche Engagement und den besonderen Ansatz, wie sich „ichbinhier“ bei Online-Diskussionen einbringen. Die Organisation ist Mitglied der Kooperation #KeineMachtdemHass, die sich gegen Hass und Hetze im Netz engagiert.

Adina Murrer
Herzlich willkommen zu einer neuen Podcastfolge. Dies ist die erste in diesem Jahr und ich darf heute Frau Chakrabarti begrüßen. Frau Chakrabarti ist eine der drei Vorstandsvorsitzenden des Vereins „ichbinhier“ und wir sprechen heute nochmal über das wichtige Thema Hass und Hetze im Netz. Der Verein „ ichbinhier “ hat dabei einen ganz besonderen Auftrag für sich erkannt und bringt daher zu diesem Thema nochmal eine neue und andere Perspektive ein.

Ich schlage vor, Frau Chakrabarti, vielleicht stellen Sie sich nur mal kurz vor und dann können wir auch direkt loslegen. Viel Spaß beim Zuhören.

Juliane Chakrabarti
Vielen Dank erst einmal, dass ich hier sprechen darf. Ich bin die zweite Vorstandsvorsitzende von „ ichbinhier “. Sie haben es ja eben schon gesagt: Der Verein besteht seit 2017. Sie haben auch schon mal ganz kurz was dazu gesagt, was wir tun. Da werden wir ja auch gleich nochmal weiter darauf eingehen. Ich selbst bin schon Rentnerin und mache diese Tätigkeit im Ehrenamt. Wobei das auch ein spezifischer Teil dieses Vereins und der Aktionsgruppe ist, dass wir alle ehrenamtlich tätig sind und nur eine ganz kleine Geschäftsstelle bisher aufgebaut haben.

Adina Murrer
Und ich würde noch das Detail hinzufügen, dass „ ichbinhier “ auch ein Teil der Kooperationen „Keine Macht dem Hass“ sind und „Keine Macht dem Hass“ ist ja eine Kooperation mit dem Hessischen Ministerium der Justiz, die sich gegen Hasskriminalität im Netz einsetzen, mit NGOs und auch Medienpartnern. Das haben sie auch schon gesagt, seit wann es den Verein gibt. Was ist denn die Ursprungsidee gewesen, „ ichbinhier “ zu gründen? Sind Sie denn auch eine der Gründungsmitglieder gewesen?

Juliane Chakrabarti
Nein, ich bin keines der Gründungsmitglieder. Ich bin ein Gründungsmitglied des Vereins, aber nicht der Aktionsgruppe, die ja sozusagen dem Verein vorausgegangen ist. Die bestand im Dezember genau vier Jahre und ich bin aber schon am Ende Januar dazugekommen. Also bei mir sind es dann auch nächstes Jahr vier Jahre, dass ich der Gruppe angehöre. Die Ursprungsidee dieser Gruppe kommt aus Schweden, wo die Journalistin Mina Dennett eine Gruppe – ich kann jetzt nicht schwedisch sprechen, deswegen sag ich es nicht, - aber auch der schwedische Name bedeutet „Ich bin hier“ und der Gründer der Hamburger Unternehmensberater Hannes Lei, der selber Kontakte in Schweden hatte, auch mal dort gelebt hat, ist auf diese Gruppe gestoßen und war so fasziniert davon, dass er sich über Nacht hingesetzt hat und eine Facebook-Gruppe gegründet hat. Zunächst mit Freunden, wie man das so macht bei Facebook. Und als ich dann im Januar, also praktisch vier Wochen später, dazugekommen bin, war die Gruppe inzwischen auf damals 4.000 Mitglieder angewachsen.

Und inzwischen, vier Jahre später, sind wir 44.500. So in etwa. Können jetzt zwei, drei mehr sein. Das habe ich jetzt nicht aktuell nachgeguckt.

Adina Murrer
Also ein rasanter Anstieg.

Juliane Chakrabarti
Genau. Ziel dieser Gruppe war es, dem Hass und der Hetze in den sozialen Medien etwas entgegenzusetzen, dem nicht machtlos ausgeliefert zu sein und sich gegenseitig zu unterstützen. Weil die Erfahrung gezeigt hat, dass Menschen sehr schnell mundtot gemacht werden und verstummen, wenn sie sich mit Hass und Hetze in großer Anzahl oder in großer Menge oder in besonders schlechter und übler Art und Weise konfrontiert sehen. Und, dass für Menschen, die sozusagen sich dem naiv nähern oder das Lesen vielleicht auf den Zeitungen, auf denen sie üblicherweise ihre Sportnachrichten angucken oder was auch immer sie tun und dann plötzlich selber verstummen, weil sie glauben, sie sind haben mit einer Mehrheitsmeinung zu tun, die aus Hass und Hetze besteht. Und an dieser Stelle wird die Gruppe aktiv.

Adina Murrer
Und wie sieht das denn praktisch aus? Also ich stell mir jetzt vor, dass Sie die Gruppe auf Facebook gegründet haben und wie funktioniert dann auch tatsächlich die Aktion praktisch und wir helfen „ ichbinhier “ den Betroffenen?

Juliane Chakrabarti
Genau. Wir haben, da wir in dieser Gruppe 44.500 Menschen sind, ja wirklich eine große Anzahl. Und jeder, der schon mal auf Facebook geschrieben hat, an irgendeiner Stelle, sei es eine Gruppe für Katzen-Freunde oder für Näh-Freundinnen, weiß im Zweifelsfall, wie schwer es dann gelingt, das verloren zu gehen, noch sich nicht mehr wiederzufinden. Und das, was wir als „ ichbinhier “ machen, ist, dass wir so eine Art Community Management betreiben.

Das heißt, wir haben an die 20 ehrenamtlichen Moderatorinnen, die dafür sorgen, dass die Gruppe die Informationen, die sie für ihre Arbeit braucht, auch gut findet. Da gibt es einige von uns. Dazu gehöre ich nicht, die aber tagsüber in regelmäßigen Abständen die großen Medienseiten, die auf der Plattform Facebook im Wesentlichen ihre Druckerzeugnisse zeigen. Und die scannen sie, wie wir das nennen. Das heißt, sie lesen sie durch. Und wenn bei bestimmten Beiträgen innerhalb von 15 Minuten mehr als 30% Hass und Hetze z.B. in Bezug auf das Thema oder in Bezug auf den Betreiber geäußert werden, dann wird in die Gruppe ein Post gestellt.

Da steht, hier ist eine Seite, da können eine sachliche Argumentation und freundliche, respektvolle Sprache die Diskussionskultur verbessern. Und jedes unserer Mitglieder, das das dann liest, sei es in der Mittagspause oder während der Arbeitszeit, da gibt's ja auch manchmal etwa mehrere Momente oder eben am Abend zu Hause, geht dann in diese jeweilige Seite. Es kann z.B. eine Seite vom ZDF sein oder der Tagesschau oder der Bild-Zeitung oder alle diese Erzeugnisse können wir da nennen, und mischt sich in diese Diskussion ein.

Und wir selber merken, dass dieser Algorithmus von Facebook, von dem Sie vielleicht ja schon gehört haben und die Hörer vielleicht schon gehört haben, der sorgt dafür, dass Menschen sich auf dieser Facebook-Seite aufhalten und das, was Facebook errechnet, also dieser Algorithmus errechnet, was ihnen besonders wichtig ist, als erstes sichtbar wird. Und Dinge, die ihnen nicht so wichtig sind, werden erst weiter unten sichtbar. Das heißt, alles das, was mit vielen Likes oder mit vielen Herziehen versehen ist oder einfach Freunde kommentiert haben oder Geschäftspartnerinnen und Gesprächspartner kommentiert haben, das wird als erstes gesehen.

Und wenn wir jetzt als Gruppe dort massiv auftreten, mit vielen gleichzeitig schreiben, auch uns gegenseitig liken und unterstützen, dann werden wir auch besser gesehen und nicht nur Hass und Hetze. Und wir können dadurch ein Gegengewicht erzeugen und können beim Menschen dafür sorgen, dass eben mehrere Meinungen zu einem Thema sichtbar werden und nicht nur eine Seite. Angefangen haben diese Diskussionen zu Zeit der der großen Geflüchteten-Ströme 2015, wo das ein besonders wichtiges Thema war, was die Menschen sehr bewegt hat und wo vor allen Dingen auch Auseinandersetzungen mit der Flüchtlingspolitik der Regierung oder der Landesregierungen nicht immer auf sehr angemessene Art und Weise geführt haben.

Und auch an dieser Stelle haben wir – sind wir dann eben eingeschritten. Vielleicht so weit erst Mal, ja.

Adina Murrer
Also superspannend. Also was ich auch heraushöre: Es heißt also nicht nur kommentieren, sondern auch tatsächlich Social Media und die einzelnen Kanäle zu verstehen. Wenn Sie jetzt den Algorithmus ansprechen. Der ändert sich ja auch ab und zu mal, da sind ja die Unternehmen auch dran, natürlich, dass diese Algorithmen auch nicht bekannt werden. Und würden Sie sagen, dass das im Vergleich zu – wir gehen jetzt mal 2 3 Jahre zurück - zugenommen hat oder sich verändert hat? Und wenn ja, wie?

Juliane Chakrabarti
Es hat sich verändert. Also einerseits merken wir, dass durch die Gesetzesinitiativen, die seitdem auch verstärkt worden sind und durch Vorfälle, die ja auch viele Menschen aufgerüttelt haben, wie z.B. den Mord an Walter Lübcke oder der Angriff auf die Synagoge in Halle, sehr wohl die Plattformbetreiber stärker in die Pflicht genommen worden sind. Und wir merken auch vor allen Dingen, dass zum Teil in den Medien, also sagen wir mal den seriösen Medien inzwischen auch die Redaktionen stärker einschreiten, wenn besonders hassvolle Postings gepostet werden.

Das war vor zwei, drei Jahren anders. Auf der anderen Seite merken wir aber, dass gerade jetzt in aktuellen Zeiten, also Corona meinetwegen, wo natürlich die öffentliche Meinung auch sehr gespalten ist, zu dem, was passiert, wo auch bei vielen Menschen Ängste zunehmen und Sorgen zu nehmen, dass natürlich die Debatte auch wieder stärker gespalten ist und stärker polarisiert wird. Und es nehmen natürlich Menschen an der Debatte teil, für die es ganz normal ist, Sätze zu sagen, die ich in meinem etwas höheren Lebensalter schon in der Schule als nicht richtig gelernt habe.

Das ist nicht nur, weil sie jung sind, sondern weil sie sich in Kontexten bewegen, wo die Sprache kürzer ist, wo sie abgehackter sind oder so ein Satz wie, ich sag's jetzt mal einfach so, „Fick dich“ inzwischen für viele Menschen zum normalen Sprachgebrauch gehört und die eigentlich gar kein Bewusstsein mehr darüber haben, dass es z.B. ältere Menschen abschreckt, solche Sätze zu lesen und dass sie sich in einer solchen Umgebung dann auch nicht mehr äußern mögen und damit am demokratischen Diskurs nicht mehr teilnehmen mögen.

Adina Murrer
Aber merken Sie auch ein Feedback? Also einerseits von denen, die betroffen sind, andererseits aber auch von denen, die aktiv an dieser Diskussion teilnehmen und für diese negativen und auch teilweise strafbaren Kommentare sorgen? Merken Sie da ein Feedback auf beiden Seiten und wenn ja, wie äußert sich das?

Juliane Chakrabarti
Das merken wir sehr wohl. Wir haben ja vorhin kurz schon geschildert, wie wir funktionieren, was wir tun. Immer wenn es um die Debattenkultur geht, setzen wir diesen Hashtag „ichbinhier“, unser Erkennungsmerkmal. Den setzen wir an den Kommentar und machen uns damit erkennbar, weil wir ja überhaupt gar kein Geheimnis daraus machen, dass wir als Initiative uns wirklich systematisch gegen Hass und Hetze einsetzen wollen und Einzelne nicht diesen, was da an Shitstorms manchmal passiert, aussetzen wollen.

So, und damit sind wir natürlich bekannt geworden. Nicht nur, weil wir inzwischen auch etliche Preise gekriegt haben oder weil wir eben Kooperationen eingehen, wie in diesem Fall mit der Justiz Hessen. Aber wir sind natürlich auch in den Kommentarspalten bekannt geworden. Und es gibt sowohl Menschen, die sagen endlich mal jemand, der uns unterstützt, endlich mal jemand, der sich dieser Sprache gegenüberstellt oder dem Ausdruck von Hass. Aber es gibt auch Menschen, die uns natürlich besonders beschimpfen, die einzelne Moderatorinnen, die einzelne Kommentatorinnen von uns Namen, die gerne und immer wieder gelesen werden, weil es eben auch Menschen sind, die sich mit bestimmten Themen auseinandersetzen und dann immer wieder dort kommentieren, auch herausgreifen und dann den Menschen über private Nachrichten oder auch in Kommentaren irgendwie Hass und Hetze entgegensetzen und auch zum Teil Beleidigungen zu schreien oder zu werfen oder schreiben.

Adina Murrer
Ja, das merkt man ja. Und wie viel – ich weiß nicht, ob man das in Prozenten ausdrücken kann, aber wie viel reale Menschen stecken wirklich dahinter und wie viele Bots sind da, die aktiv diese Kommentare befeuern?

Juliane Chakrabarti
Das können wir natürlich gar nicht sagen. Also es hat vor drei Jahren etwa, hat einer unserer Moderatorinnen und Moderatoren eine Studie zusammen mit dem Institut for Strategic Dialogue in London gemacht und die haben über die Schnittstellen von Facebook bestimmte Aktionen ausgewertet. Und wir wissen, dass nur etwa 5% der Kommentierenden für etwa 50 Prozent der Kommentare verantwortlich sind, dass liegt einmal daran, dass man eben Kommentare in Anführungsstrichen kaufen kann oder Likes kaufen kann. Aber es liegt natürlich auch daran, dass Menschen, die eine bestimmte Haltung haben oder die gerne gewählt werden wollen zum Beispiel, oder die sich mit bestimmten Themen besonders auseinandersetzen, natürlich die sozialen Medien auch als eine Plattform nutzen, um ihre Gedanken bekannter zu machen. Das ist ja im Prinzip auch legitim. Legitim ist es natürlich nicht, wenn andere damit zum Schweigen gebracht werden sollen. Und diese Zahl von 5% der Menschen, die dahinterstecken, sind für 50% verantwortlich. Die hat sich bislang auch durch andere Untersuchungen bestätigt.

Adina Murrer
Das beachtlich. Und jetzt haben Sie viel von Facebook gesprochen. Sind Sie auch auf anderen Plattformen aktiv?

Juliane Chakrabarti
Es gibt auch von uns eine kleine Gruppe, die auf Twitter im letzten Jahr begonnen hat zu kommentieren und dort einzuschreiben, Posts zu erstellen. Das ist aber was, was noch im Aufbau ist, weil natürlich das nochmal anders funktioniert auf Twitter als auch auf Facebook und wir in dem Sinne nicht die Möglichkeit haben. Also wir können schon auch andere unterstützen, die z.B. Opfer von Shitstorms werden. Wir können auch bestimmte Kommentare posten oder nach vorne bringen. Wir können Stellung nehmen, aber es ist ein schnelleres Geschäft und es ist kaum möglich, Gedanken in Ruhe und vernünftig auszuformulieren und Sachlichkeit und Fakten in der Weise nach vorne zu bringen wie ist das bei Facebook wäre.

Und wir haben schon auch den Wunsch auf Instagram auch noch aktiver zu werden. Aber im Moment haben wir als ehrenamtliche Initiative überhaupt nicht die Ressourcen, um jetzt dazu zu sagen, eine Community in der Weise zu betreuen, wie wir es auch mit unserer Facebook Community tun.

Adina Murrer
Jetzt würde mich in diesem Zusammenhang nochmal interessieren: die aktuelle Debatte um Trump und Twitter. Was sagen Sie denn dazu? Weil Sie ja auch direkt mit diesen Themen konfrontiert sind, mit Hass-Kommentaren. Was sagen Sie dazu, wenn ein Unternehmen wie Twitter einen ehemaligen Präsidenten sperrt und damit ja auch irgendwo eingreift in die Meinungsfreiheit?

Juliane Chakrabarti
Ich finde es ein zweischneidiges Schwert, so wie Sie sagen, dass die Meinungsfreiheit von Menschen darüber gestört wird. Das finde ich im Prinzip nicht richtig, weil jede Form des Ausdrucks, sofern sie sich – ich würde in der Bundesrepublik immer sagen, auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt – ist ja erstmal legitim und sollte nicht unterbunden werden von den Plattformen. Wenn allerdings die Plattformen merken, dass es nicht mehr gelingt einzelne User sozusagen auf diesen, auf diesem Boden des Grundgesetzes, dass die sich da bewegen oder das da sprechen oder ihre Meinung kundtun, dann finde ich es richtig, sie auszusperren. Auch auf Dauer.

Ich glaube, es gibt genug andere Kanäle, auf denen Menschen ihre Meinung äußern können und nun gerade bei der Person Trump, der hat natürlich die Ressourcen, um auch auf anderen Presseerzeugnissen aktiv zu werden. Also da ist der demokratische Schaden nicht so hoch. Nicht, weil es nicht im Grundsatz ein Thema wäre, sondern weil er sich sehr wohl Gehör verschaffen kann. Es gibt hier andere Menschen in dieser Gesellschaft, die können sich keinesfalls Gehör verschaffen, also Gruppen, die von anderen Maßnahmen betroffen sind oder die unter anderen Schwierigkeiten leiden, die nicht so gut sprechen können z.B. oder die Landessprache nicht sprechen können.

Die kein Social Media Team haben, die ihre Seiten betreut. Also da würde ich es viel kritischer sehen, wenn da die Plattform sie vom Diskurs ausschließen würden.

Adina Murrer
Spannende Debatte. Mal schauen, was uns da noch in Zukunft erwarten wird. Jetzt gibt es ja auch noch andere Organisationen, die sich gegen Hasskriminalität im Netz einsetzen. Was würden Sie jetzt sagen, was ist Ihr Erkennungsmerkmal, was sich von anderen unterscheidet?

Juliane Chakrabarti
Also wir arbeiten ja eng mit anderen Organisationen zusammen wie Hass melden, HateAid, Das Netz. Es gibt auch kleinere Organisationen, die vor allen Dingen auch Bildungsangebote machen, LOVE-Storm. Wir sind, glaube ich, einzigartig mit unserem Ansatz wirklich eine große Menge von Menschen, die sich aktiv einsetzen, diesen Äußerungen entgegenzusetzen. Das macht, soweit ich weiß, keine der anderen Aktionsgruppen. Insofern ist es schön, dass man eng zusammenarbeitet. Weil es jeweils andere Schwerpunkte gibt und wir gemeinsam mit dem zivilgesellschaftlichen Engagement und anderen Stellen dazu beitragen können, dass eben tatsächlich sichtbar sind, solche Dinge, wie sie sich gerade im Falle Walter Lübcke ja gezeigt hat, dass also schon lange bevor es zu dem eigentlichen Attentat kam, Verabredungen zu Taten oder Beschimpfungen oder Hass da waren und dass es kaum möglich war, sozusagen die Gefährlichkeit zu erkennen und sich in irgendeiner Weise dagegen zu wehren. Und ich glaube, da braucht es verschiedene Ansatzpunkte.

Adina Murrer
Und sie bieten, auch wenn ich das richtig gesehen habe, Trainings und sogenannte Bootcamps an. Vielleicht möchten Sie mal kurz vorstellen, wie man sich im Bootcamp dann tatsächlich auch vorstellen kann?

Juliane Chakrabarti
Ja, gerne. Wir haben, vor den Corona Einschränkungen, haben wir tatsächlich Seminare angeboten vor Ort mit Menschen, die sich selber nicht trauen, in solche Situationen zu begeben, weil sie sagen vielleicht werde ich dann beschimpft oder vielleicht findet jemand mal raus, wo ich wohne und er findet meinen Arbeitgeber oder ich kann mich gar nicht so gut ausdrücken, wie mache ich das dann, bis ich dann geschrieben habe, ist es schon alles vorbei. Und wir haben mit denen gemeinsam geübt, wie man seine Gedanken sortiert, an welchen Stellen es sich in Anführungsstrichen lohnt und woran könnte man zB erkennen, dass man mit einem Bot zu tun hat und gar nicht mit einem Menschen?

Also alle diese Dinge, um Menschen sicherer zu machen. Und wir haben dann mit den Corona Einschränkungen unser Format auf ein digitales Format umgestellt und haben damit natürlich inzwischen noch eine größere Reichweite, weil wir sehr viele Organisationen auf diese Weise erreichen können, die sich vor Ort gar nicht treffen können. Und wir können natürlich eine Reihe von Teilnehmerinnen gleichzeitig erreichen, wenn wir da das Camp machen.

Was wir tun ist, wir haben ein ungefähr zweieinhalbstündiges Webinar, in dem wir beginnen mit einer Information: Was ist Hass und Hetze? Was sind für uns Unterscheidungsmerkmale? Was sind sinnvolle Wege? Wie erkenne ich auch Menschen, die da kommentieren oder schreiben? Und dann in eine Simulation gehen, indem wir einen der typischen Postings, wie wir sie jeden Tag vorfinden können, reinstellen und dann Rollen verteilen, sodass jeder Mensch mal Erfahrungen macht damit, wie fühlt es sich eigentlich an, selber mal solche Hassbotschaften zu schreiben?

Oder was könnte ein Treiber sein? Warum ich an dieser Stelle wo es ans Tragen der Masken geht, mich so sehr errege oder wie kann ich auch systematisch dagegen argumentieren, wenn jemand überhaupt nicht mit Argumenten erreichbar wird? Und wir werten dann diese Simulationserfahrung aus und üben dann mit den Leuten auch nochmal, wie sie sich z.B. im Profil besser schützen können. Wenn das einer der Gründe ist, warum sie nicht schreiben mögen und wir haben auch eine zweite Seminar-Form, also wo wir eben auch Gruppen von Community-Managerinnen und -Manager in Gruppen darin unterstützen.

Wie betreue ich denn so eine Community, wie wir das machen? Weil wir dann natürlich auch Erfahrungswissen gesammelt haben in der Zeit. Zum Beispiel, wir arbeiten zur Zeit mit den Bücherhallen Hamburg. Da haben wir ein gemeinsames Projekt aufgesetzt, zusammen mit der Kulturstiftung des Bundes. Wir arbeiten aber auch mit Trägern des Freiwilligen Sozialen Jahres. Wir arbeiten mit anderen NGOs zusammen. Und last not least trainieren wir auf unsere eigenen Gruppenmitglieder, weil die manchmal auch sagen: Ich bin jetzt schon so lange bei euch in der Gruppe, aber ich schaffe es irgendwie gar nicht den am Anfang zu kriegen und mal selber loszulegen.

Das selbst schreiben macht mir doch auch ein bisschen Angst.

Adina Murrer
Also auf jeden Fall vielfältig einsetzbar. Und ich glaube auch, man muss ja auch immer wieder sich fortbilden, weil sich das Medium bzw. die sozialen Medien auch rasant entwickeln und immer wieder auch neue dazukommen.

Juliane Chakrabarti
Und die Themen ändern sich auch. Ich habe es ja vorhin schon kurz gesagt In 2015, also zu 16, als wir begonnen haben, ging es vor allen Dingen um geflüchtete Menschen. Inzwischen geht es viel um Corona oder die Frage: Impfen Ja? Oder Nein? Oder was gibt es sonst noch an Verschwörungstheorien? Auch da gibt es auch Gruppenmitglieder von uns die sagen: Dazu fällt es mir schwer, zu kommentieren. Da habe ich selber noch gar keine Haltung dazu und kann das auch gar nicht öffentlich. Dafür ist das Thema viel zu dicht gerückt.

Oder ich habe Menschen im Familienkreis z.B., die haben da eine abweichende Meinung und das erschreckt mich gerade sehr. Alles das sind ja auch Gründe, die Menschen davon abhalten müssen, sich öffentlich da zu äußern.

Adina Murrer
Und würden Sie sagen, dass die Kommentare, die Sie dann lesen oder auch antworten, das nehmen Sie dann mit nach Hause, im Sinne von, das beschäftigt Sie auch weiterhin? Oder können Sie das tatsächlich als Ehrenamtlerin auch abschließend abschalten und sagen: Nein, das ist jetzt wirklich mein, in Anführungszeichen, Job. Und damit ist die Sache dann auch erledigt.

Juliane Chakrabarti
Das ist für Menschen natürlich unterschiedlich. Also mir persönlich gelingt das ganz gut. Aber ich weiß schon, dass Menschen, die z.B. selber ein Corona erkranktes Familienmitglied haben, natürlich in ganz anderer Weise darunter leiden, wenn sie dann angegriffen werden im Netz. Was wir als Gruppe dafür machen ist, dass wir jeden Abend ein Format anbieten, wir haben es ein bisschen reduzierte, man kann es jetzt jeden zweiten Abend, wo unsere Gruppenmitglieder miteinander in Kontakt kommen. Wir schreiben einen sogenannten Absackertext abends, nochmal so ein bisschen zur Ruhe kommen, bisschen Musikhören, ein bisschen was Nettes machen oder eben auch einmal in der Woche miteinander diskutieren zu verschiedenen Themen, weil doch für die Gruppenmitglieder genau dieser Effekt eintritt, den sie eben genannt hatten.

Manche brauchen dann am Anfang lange, um sich auch von dem zu erholen, was sie da gelesen haben, weil das eben manchmal Dinge sind, die nicht schön zu lesen sind.

Adina Murrer
Ja, deswegen ist ihre Arbeit umso wichtiger. Also jetzt noch die abschließende Frage: Wo sehen Sie, „ ichbinhier “, ich sag jetzt mal in fünf Jahren?

Juliane Chakrabarti
Ich komme in meinem Privat-Beruf, oder in meinem Brot-und-Butter-Beruf, eigentlich aus der sozialen Arbeit. Und da haben wir immer alle gesagt, wir müssen uns mal selbst abschaffen. Das müsste unser Ziel unserer Arbeit sein. Und eigentlich wäre es schön, wir bräuchten in fünf Jahren so eine Initiative gar nicht mehr wie „ ichbinhier “.

Aber wir glauben natürlich nicht, dass das real passieren wird, sondern wir glauben, dass es da auch nach wie vor ein Bedarf gibt. Und ich glaube, dieses Tätigkeitsfeld, digitale Zivilcourage einzuüben, auch zu vermitteln, auch unsere Erfahrung weiterzugeben, ist ein ganz wichtiger Impuls, der auch noch länger nötig sein wird. Und das, was Sie vorhin nachgefragt haben: Ich kann mir vorstellen, dass wir auch auf weiteren Plattformen aktiv sind. Und ich kann mir auch vorstellen, dass wir mit dem Erfahrungswissen, das wir haben, auch tatsächlich in die Lage versetzt werden, das, was man heute auf neudeutsch Agenda-Setting nennt, betreibt. Also, dass wir die Politik z.B. beraten, wie wir das auch in der Vergangenheit gemacht haben.

Wie muss das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gestaltet sein? Nicht, weil wir alle Juristen sind und das gut können. Aber weil wir Verbraucher sind und wissen, wie schwierig es manchmal ist, seinem Anliegen Gehör zu verschaffen oder den Button „Melden“ auf der Facebook-Seite überhaupt zu finden. Und auch da haben wir inzwischen eine Reihe von Expertise, die wir glauben, die nötig sein wird, wenn andere Menschen in unsere Fußstapfen treten und sich weiterhin mit ihren Kräften und mit Sachlichkeit und Respekt auch im öffentlichen Raum auseinandersetzen und auch im digitalen öffentlichen Raum auseinandersetzen.

Adina Murrer
Sehr wichtige Arbeit. Vielen, vielen Dank für das durchaus interessante Gespräch und ich glaube, uns werden die Themen, die Sie genannt haben, Corona, Impfen, in der nächsten Zeit noch weiter begleiten, aber es werden auch wieder andere Zeiten auf uns zukommen.

Juliane Chakrabarti
Ich danke auch Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Adina Murrer
Dem kann ich mich nur anschließen. Auch ich wünsche Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, noch einen schönen Tag und freue mich schon auf die nächste Folge, wenn es wieder heißt „Zeit für Justitia - Der Justiztalk aus Hessen“.