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Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat

Folge 5 - Das Hessische Finanzgericht

Der Präsident des Hessischen Finanzgerichts, Dieter Merle, spricht über die Historie seiner Wirkungsstätte, interessante Verfahren und in welchem Bereich das Finanzgericht digitaler Vorreiter ist.

Adina Murrer
Hallo und herzlich willkommen zu unserem Podcast "Zeit für Justitia - der Justiztalk aus Hessen". Mein Name ist Adina Murrer und ich wünsche uns eine spannende Sendung. Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe unseres Podcasts. Dieses Mal bin ich in Kassel unterwegs und habe den Präsidenten des Finanzgericht, Herrn Merle, getroffen. Herr Merle wird uns erläutern, was das Finanzgericht eigentlich so alles macht, welche Verfahren sich dahinter verbergen und wie die Finanzgerichtsbarkeit bis jetzt auch durch die Corona Krise gekommen ist.

Herr Merle, ich freue mich, dass es geklappt hat. Hallo!

Dieter Merle
Ja, Frau Murrer, herzlich willkommen hier beim Hessischen Finanzgericht in Kassel. Ich darf Sie recht herzlich begrüßen und mich bedanken über das neue Medium auch das hessische Finanzgericht, das kleinste Fachgericht in der hessischen Finanzgerichtsbarkeit, aber auch in allen anderen Bundesländern einmal vorzustellen.

Adina Murrer
Dann steigen wir doch direkt ein, Herr Merle, was können Sie uns über die Finanzgerichtsbarkeit im Allgemeinen erzählen und was gibt es eventuell für besondere Entwicklungsschritte im Finanzgericht in Kassel?

Dieter Merle
Die Finanzgerichtsbarkeit ist, anders als die anderen Gerichtsbarkeiten, nur zweistufig aufgebaut. Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit sind in den Bundesländern die Finanzgerichte als obere Landesgerichte und im Bund der Bundesfinanzhof. Alle Bundesländer verfügen in der Regel nur über ein Finanzgericht, so auch Hessen. Lediglich die großen Flächenstaaten wie Bayern und Nordrhein-Westfalen - Bayern hat Finanzgerichte in Nürnberg und München, Nordrhein-Westfalen, aufgrund der Größe dieses Bundeslandes, hat sogar drei Finanzgericht in Münster, Köln und Düsseldorf. Warum wurde das hessische Finanzgericht in den Norden des Bundeslandes gesetzt?

In der Gesetzesbegründung heißt es, ich zitiere: "Die Wahl von Kassel als Sitz des Finanzgerichtes soll dieser durch den Luftkrieg besonders schwer geschädigten Stadt einen Ersatz für das aufgelöste bisherige Oberfinanzpräsidium bieten. Am 1. September 1948 trat in Hessen erstmals der Spruchkörper eines Finanzgericht zusammen, der die Erfordernisse eines modernen rechtsstaatlichen Gerichtes erfüllte. Organisatorisch bedeutete dies, dass das Gericht nicht mehr ein Teil der Finanzverwaltung war, sondern nunmehr dem Grundsatz der Gewaltenteilung entsprechend ein eigenständiges Gericht.

Adina Murrer
Nach dem historischen Abriss versuche ich nun den Sprung in die Gegenwart. Herr Merle, vielleicht können wir unseren Zuhörerinnen und Zuhörern noch einmal näher erläutern, was das Finanzgericht so alles macht. Viele haben natürlich sicherlich irgendetwas mit Zahlen im Kopf, aber vielleicht können sie dahingehend nochmal einen näheren Einblick geben.

Dieter Merle
Das Finanzgericht in Kassel ist zuständig für sämtliche Verfahren, die im Lande Hessen in den Zuständigkeitsbereich der Finanzgerichtsbarkeit fallen. Sachlich ist das hessische Finanzgericht zuständig, insbesondere für Klagen gegen Steuerbescheide der Finanzämter, gegen Zoll und Verbrauchssteuerbescheide der Hauptzollämter, gegen Kindergeldbescheide der Familienkasse in Angelegenheiten des europäischen Marktordnungensrechts und auch bei Streitigkeiten über das Berufsrecht der Steuerberater. Was in der Öffentlichkeit vielleicht nicht so bekannt ist, ist die Tatsache, dass für Strafverfahren oder Bußgeldverfahren wegen Steuerstraftaten oder Steuerordnungswidrigkeiten nicht die Finanzgerichte, sondern die Strafverfolgungsorgane und die Strafgerichte, insbesondere Amts- und Landgericht, zuständig sind.

Im privaten Bereich höre ich oft, dass jemand, der hört "Ich bin bei einem Finanzgericht" - uiuiui - da verurteilt er ja auch die Straftäter. Das ist allerdings, wie gerade dargestellt, nicht der Fall. Beim Finanzgericht, ich sage dann immer, geht es ausschließlich um Geld.

Adina Murrer
Ja, Geld ist heute das richtige Stichwort. Wenn wir einmal nach Frankfurt blicken, schauen wir auf einen hiesigen Bankensektor. Inwieweit beeinflusst denn dieser auch die verfahrene Lage hier im Finanzgericht in Kassel?

Dieter Merle
Aufgrund der Tatsache, dass das Finanzgericht als einziges Tatsachengericht tätig wird, führt dies auch dazu, dass vor dem Finanzgerichtsverfahren Klagen von einzelnen Bürgern bearbeitet werden. Aber auch insbesondere im Hinblick darauf, dass auch der Bankenplatz Frankfurt zu unserem Zuständigkeitsbereich gehört - in einer Vielzahl von Fällen, Banken, die Börse oder auch internationale Konzerne, die in Frankfurt eine inländische Betriebsstätte unterhalten. Vor dem Finanzgericht verhandelt werden.

Adina Murrer
Was sind denn sonst noch so typische anhängige Verfahren im Finanzgericht? Vielleicht können Sie hierbei auch auf das eine oder andere Beispiel genauer eingehen.

Dieter Merle
Das Spektrum der Fälle über diesen Bereich geht dann bis zu den Verfahren, die in letzter Zeit auch durch die Medien gegangen sind, unter dem Stichwort CumEx-Verfahren oder kommt Cum-Cum-Verfahren, wo es um große Geldbeträge geht, in denen zu entscheiden war, inwieweit Kapitalertragssteuer zu erstatten war oder nicht. Die Vielfältigkeit der Verfahren, die vor dem Finanzgericht verhandelt werden, zeigt sich darin, dass das Finanzgericht z.B. im Einkommenssteuerbereich zuständig ist für Werbungskosten von Arbeitnehmern, für Fragen von außergewöhnlichen Belastungen, z.B. im Bereich von Krankheitskosten, inwieweit diese steuerlich abzusetzen sind.

Ein lustiges Beispiel aus meiner eigenen richterlichen Tätigkeit, es war zu entscheiden, inwieweit Anwaltskosten einer Polizistin als Werbungskosten zu berücksichtigen sind, die aus der Asservatenkammer für die Weihnachtsfeier Hasch entwendet hatte und die Plätzchen ihren Kollegen zu einer amüsanten Weihnachtsfeier zur Verfügung gestellt hatte. Das Finanzgericht musste darüber entscheiden, inwieweit die Anwaltskosten sowohl für das Disziplinarverfahren, aber auch für das beamtenrechtliche Verfahren, als Werbungskosten im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Polizistin anzuerkennen waren.

Adina Murrer
Und wie ist das Ganze ausgegangen?

Dieter Merle
Die Klage wurde abgewiesen, weil der Ansatz der Überprüfung, inwieweit Prozesskosten oder Anwaltskosten als Werbungskosten zu berücksichtigen sind, das zu überprüfen ist, aufgrund welcher Tat denn diese Werbungskosten entstanden sind. Da hier die Entwendung aus der Asservatenkammer nichts mit den eigentlichen dienstlichen Aufgaben zu tun hatten, waren in diesem Fall auch die Anwaltskosten nicht als Werbungskosten anzuerkennen.

Adina Murrer
Ja, ja, Herr Merle dann vielen Dank für den interessanten Einblick. Man sieht also, es gibt auch sehr ungewöhnliche Verfahren am Finanzgericht. Ich möchte jetzt gerne noch auf das aktuelle Verfahren zu sprechen kommen, in dem es um die Gemeinnützigkeit des Vereins Attacs geht. Dieses fand auch in den Medien große Aufmerksamkeit. Herr Merle, könnten Sie uns diesen Fall noch einmal genauer erläutern?

Dieter Merle
Das hessische Finanzgericht hatte über die Gemeinnützigkeit des Attac Trägervereins in den Jahren 2010 bis 2012 im zweiten Rechtsgang erneut über die Gemeinnützigkeit des Vereins zu entscheiden. Zunächst hatte der vierte Senat des hessischen Finanzgerichts im ersten Rechtsgang die Gemeinnützigkeit bejaht. Der Bundesfinanzhof hatte das Urteil jedoch aufgehoben und die Sache an das hessische Finanzgericht zur erneuten Entscheidung zurückgewiesen. In seinem Urteil hatte der BFH besonders ausgeführt, das hessische Finanzgericht habe die Begriffe der Volksbildung, worunter auch die politische Bildung fällt und das demokratische Staatswesen zu weit ausgelegt. In der neuen Entscheidung des hessischen Finanzgerichtes, nun unter Beachtung der vom BFH aufgestellten Kriterien, wurde die Gemeinnützigkeit verneint und die Klage abgewiesen. Die Revision wurde seitens des Senates zugelassen.

Adina Murrer
Um ein Thema kommen wir aktuell nicht herum und das ist die Corona Krise. Herr Merle, wie ist denn das Finanzgericht bisher mit dieser umgegangen und was hat sich möglicherweise auch in den Arbeitsabläufen aufgrund der Pandemie verändert?

Dieter Merle
Wir haben dann wie alle Gerichte in Hessen ab Mitte März den Betrieb, das heißt mündliche Verhandlungen, eingestellt und erst jetzt Anfang Mai wieder mit mündlichen Verhandlungen begonnen. Eilverfahren wurden nach wie vor auch im März und April beim hessischen Finanzgericht bearbeitet. Seit Anfang Mai haben wir unsere Sitzungssäle so hergerichtet, dass wir den Hygienemaßnahmen gerecht mündliche Verhandlungen durchführen können, was auch schon geschehen ist.

Ansonsten kommt uns in Zeiten von Corona zugute, dass wir seit vielen Jahren mit der Videokonferenztechnik arbeiten. Bereits 2001 waren wir als Pilotgericht tätig, um ja durch unseren Standort im Norden des Landes, insbesondere die vielen Verfahren, die aus Mittel- und Südhessen bei uns verhandelt werden, auch per Videokonferenz abzuarbeiten. Das bedeutet, dass wir Schaltungen sowohl zur Steuerberaterkammer in Frankfurt machen können, als auch zu verschiedenen Finanzämtern, von Gießen über Fulda bis Frankfurt und Wiesbaden und Darmstadt kann per Video Schaltung die mündliche Verhandlung durchgeführt werden. Natürlich war in den Monaten März, April auch die Steuerberaterkammer und die Finanzämter nicht so zugänglich, wie das vorher war. Inzwischen sind aber Videoschaltungen sowohl zur Steuerberaterkammer als auch zu den Finanzämtern möglich.

Aufgrund der Corona Maßnahmen wurde von den Richtern in großem Maße Homeoffice durchgeführt. Viele unserer Kolleginnen und Kollegen verfügen über ein Boot-Stick, mit dem sie sich von zuhause in den Rechner des Gerichtes einschalten können. Auch im nicht richterlichen Dienst, zumindest im Bereich der Bereichsleiter besteht die Möglichkeit des Homeoffices, was auch genutzt wurde, ebenfalls mit den Boot-Sticks. Aber da zeigt sich, und den Bedarf haben wir angemeldet, dass jetzt zu Zeiten der Corona-Problematik, das Homeoffice und die Möglichkeit, von Zuhause zu arbeiten, mehr in Anspruch genommen würde, insbesondere auch von Kolleginnen und Kollegen, die nicht weit weg sind, sondern in Kassel wohnhaft sind. Im Bereich der Service Einheiten ist das nur bedingt möglich. Da müssen wir sehen, wie in Zukunft eventuell auch bei Einführung der elektronischen Akte ein Arbeiten Zuhause weiter möglich sein kann.

Adina Murrer
Herr Merle, damit sind wir auch schon am Ende unseres Podcasts. Ich bedanke mich für den finanziellen Rundumschlag und die Einblicke in die Finanzgerichtsbarkeit.

Dieter Merle
Frau Murrer, auch ich darf mich recht herzlich bedanken.

Adina Murrer
Damit verabschiede ich mich auch bei Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, und freue mich schon auf die nächste Folge, wenn es wieder heißt "Zeit für Justitia - der Justiztalk aus Hessen".