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Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat

Folge 19 - „Soziales Training mit dem Hund“

Angelika Simon, Geschäftsleiterin der Jugendarresteinrichtung Gelnhausen, stellt das Projekt „Soziales Training mit dem Hund“ vor. Wie dieses praktisch umgesetzt wird, warum das Projekt besonders für Jugendliche wichtig ist und wie diese auf die Hunde reagieren, erfahren Sie in dieser Folge.

Moderatorin (00:02)

Zeit für Justitia - Der Justiztalk aus Hessen.

Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Podcastfolge. Auch in dieser wird es um Hunde in der Justiz gehen. Nachdem wir in der vergangenen Ausgabe bereits geklärt haben, wie Handy- und Drogenspürhunde im Justizvollzug eingesetzt werden, soll es heute um das Projekt „Soziales Training mit dem Hund“ gehen. Dazu begrüße ich meine Gesprächspartnerin Angelika Simon. Sie ist Geschäftsleiterin der Jugendarresteinrichtung Gelnhausen, welche wiederum zuständig ist für männliche und weibliche Jugendliche aus Hessen.

Guten Tag, Frau Simon. Nun sind Sie, wie gesagt, Geschäftsleiterin in der Jugendarrestanstalt, was ja auf den ersten Blick erst mal wenig mit Hunden zu tun hat. Erzählen Sie doch mal gerne, was sich hinter dem Projekttitel „Soziales Training mit dem Hund“ verbirgt und wie dieses in die Jugendarrestanstalt implementiert wurde.

Angelika Simon (00:59)

Ja, schönen Guten Tag. Ja, das Projekt, wie es schon sagt, handelt von sozialem Training mit Hunden, mit jungen, arrestierten, männlichen und weiblichen. Und es ist ein Projekt, wo man lernt, strukturiert mit einem Hund umzugehen und Anweisungen zu befolgen und ja, einfach sich selbst zu reflektieren, was man richtig, was man falsch macht. Hat mit meiner Funktion als Geschäftsleiterin nicht viel zu tun. Kommt auch eher so aus meinem privaten Bereich, wo ich mit Rettungshundearbeit mit meinen Hunden unterwegs bin und Therapiehundearbeit und ja, was sich dann für sinnvoll für die jungen Arrestierten herausgestellt hat.

Moderatorin (01:45)

Sie haben eingangs erwähnt, dass das Thema Hunde Sie auch privat sozusagen beschäftigt. Wie war denn jetzt der Schritt vom Privaten zum Beruflichen? Also sprich, wie sind die Hunde denn tatsächlich dann jetzt auch am Ende in die Jugendarrestanstalt gekommen? Und wie haben die Jugendlichen auf die Tiere reagiert?

Angelika Simon (02:02)

Also die Idee stammte ursprünglich nicht mal von mir. Es war total witzig, wie sich das ergeben hat. Und zwar war ich 2019 auf dem Hessentag und mir wurde der Ehrenbrief des Landes Hessen verliehen für eine Geschichte aus meiner Rettungshundearbeit, wo wir einem 92-Jährigen das Leben quasi gerettet haben. Und dort war auch die Justizministerin, Frau Eva Kühe-Hörmann und hat uns zwar quasi beobachtet, wie wir zwei Stunden mit zwei Hunden Spalier gestanden haben für diese Überreichung dieser Urkunde und sie fand es total toll und kam auf mich zu und hatte sich ja auch dann das Ganze angehört, was dazu gesagt wurde. Es war eine sehr schöne Zeremonie, die da stattgefunden hat und sie war dann so begeistert davon, was da geleistet wird bei der Rettungshundearbeit oder überhaupt mit den Hunden und auch wie sie sich dort gegeben haben, dass sie quasi den Vorschlag machte oder mich fragte, warum ich eigentlich nicht die Hunde in meinem Beruf, also in der Justiz mit einbringen wollen würde. Ja, das fand ich natürlich sehr interessant und habe dann für mich entschieden, dass ich das sehr gerne machen würde, zumal ich auch sehr gerne mit Jugendlichen zu tun habe oder überhaupt mit anderen Menschen zu tun haben. Und so kam das dann überhaupt erst zustande, dass ich dann ein Konzept erstellt habe, wie das aussehen könnte und das dann auch vorgeschlagen habe und dies dann hier eben jetzt seit März als Pilotprojekt umgesetzt wurde und bei den Arrestierten total gut ankam. Ich bin quasi so als Externer, also ich bin für die da nicht in der Funktion mit meiner Geschäftsleitung dort, sondern eben rein als Hundeführer. Und ja, das wurde eigentlich sehr gut aufgenommen. Es wird sehr gut angenommen und die Jugendlichen sind auch sehr begeistert bei der Sache und finden es eigentlich ganz toll, dass sie wirklich mal für eine Zeit lang gar nicht das Gefühl haben, im Arrest zu sein, sondern einfach nur mit Hunden zu arbeiten und was Neues für sich für ihr Leben mitzunehmen.

Moderatorin (04:07)

Nun reden wir die ganze Zeit vom sozialen Training mit dem Hund und wollen natürlich auch wissen, wie dieses Projekt praktisch umgesetzt wird. Deshalb, Frau Simon, vielleicht beschreiben Sie einfach mal so eine Einheit, wie diese von Ihnen gestaltet wird und wie das Zusammenspiel zwischen Tier und Jugendlichen funktioniert.

Angelika Simon (04:34)

Also die Wachdienste schauen zuerst, wer sich eignet für dieses Projekt oder für diese Maßnahme. Und es findet immer statt mit zwei Jugendlichen gleichzeitig. Und die Einleitung ist dann in Form von Theorie gegeben. Das heißt, ich möchte ja nicht, dass die jungen Menschen denken, sie müssen sich jetzt sofort einen Hund anschaffen und dass es toll ist, einen Hund zu haben, sondern ich möchte eigentlich auch aufklären darüber, was es bedeutet, einen Hund zu haben. Also welche Voraussetzungen gegeben sein sollten, welche finanziellen Verpflichtungen auf einen zukommen. Der zeitliche Aufwand. Dann auch, dass ich immer mein ganzes Leben danach ausrichten muss, wenn ich einen Hund habe. Und wenn das alles passt, dass ich dann überlegen muss, was für ein Hund kommt für mich infrage? Rasse bedingt eben Läufer oder Jäger oder Hütehund, was eben überhaupt nicht geeignet ist für einen Familienhund. Also immer, dass man den Hund nach dem abstimmt, was man auch mit dem vorhat. Dass man immer ein Ziel haben muss, wenn man sich den Hund anschafft, was man eben mit ihm auch dann unternehmen möchte oder eben nicht.

Ich erkläre dann in der Theorie den Umgang mit dem Hund. Mir ist da ganz wichtig, auf die Lerntheorie einzugehen, dass die jungen Menschen eben auch verstehen, dass es nicht am Hund liegt, wenn etwas nicht funktioniert, sondern eigentlich immer am oberen Ende der Leine. Dass man einen Hund eben am besten erziehen kann und das größte Vertrauen gewinnt, wenn man ihn durch positive Verstärker ausbildet. Bedeutet über Futter oder Leckerchen über die besten Ausbildungsmethoden, was die höchste Belohnung für den Hund sein könnte, aufkläre. Und ja, wenn es dann so weit ist, dass sie die Theorie so weit verstanden haben, auch wie ein Hund lernt, wann ein Hund lernt, dass er immer lernt, dass es Sichtzeichen gibt, Hörzeichen gibt, wie man eine Signalstruktur aufbaut. Wenn das alles dann für die jungen Menschen klar ist und sie auch ein wenig darüber aufgeklärt wurden, wie man richtig auf einen Hund zugeht, dann gehe ich mit ihnen quasi in die, also in die Praxis. Und da haben wir hier einen ganz tollen Parcours aufgebaut, wo sie dann mit den Hunden ganz alleine selbstständig arbeiten können.

Sie bekommen dann eben vorher gezeigt, wie sie den Hund zu belohnen haben und wie sie den Hund führen können. Das klappt wunderbar. Und dieser Parcours besteht aus einer Wippe, einem Tunnel, einem Slalomlauf, eine Leiter also, wo die Hunde quasi über eine Leiter laufen müssen, über ein Gerüst laufen müssen. Und ja, wir haben da noch so verschiedene Möglichkeiten von Versteckmöglichkeiten, wo wir dann auch so ein bisschen was aus der Rettungshundearbeit zeigen. Also das Ziel ist nachher, dass die jungen Menschen meine Anweisungen umsetzen können, was wirklich sich als nicht einfach erwiesen hat, um einen Hund im Endeffekt komplett über den Parcours alleine führen zu können. Das ist so das Ziel. Und sich eben, wenn es nicht klappt, was grundsätzlich auch immer passiert, sich damit auseinandersetzen und sich selbst reflektieren. Warum hat das jetzt nicht funktioniert? Wo lag der Fehler? Dann, ja dann brauchen wir die Übung einfach neu auf oder vereinfachen Sie für den Hund ein wenig und dann funktioniert sie auch zu 99,9 % immer. Und am Schluss sind sie dann immer ganz arg stolz, dass sie ganz alleine quasi einen Hund in der Unterordnung geführt haben, über die Geräte geführt haben und vielleicht noch ein paar Eindrücke gewonnen haben über Rettungshundearbeit.

Moderatorin (08:04)

Das klingt auf jeden Fall sehr professionell und auch sehr interessant. Vor allem sicherlich für jene Jugendliche, die bis dato wenig oder kaum Kontakt mit Hunden hatten, also von der Theorie bis zur richtigen Haltung und Führung das komplette Programm. Was meinen Sie denn, Frau Simon, was am Ende dann den größten positiven Effekt auch ausmacht? Also ist es das reibungslose Ablaufen des Parcours, das an der Leine führen oder das Funktionieren von Kommandos? Was nehmen die Jugendlichen aus dieser Einheit, aus dieser Maßnahme dann auch mit? Oder haben sie auch schon Feedback bekommen, was sie gerne mal teilen möchten?

Angelika Simon (08:45)

Ja, einen Feedbackbogen gibt es im Anschluss an das Projekt. Da füllen die jungen Menschen dann eben aus, wie ihnen das Ganze vorkam. Ob sie es zu schwer fanden, zu einfach, ob sie gut mit dem Hund zurechtkamen, ob sie die Anweisungen klar befolgen konnten. Und dieser Feedbackbogen muss ich sagen, ich habe jetzt schätzungsweise glaube ich 70, um die 70 Arrestierte schon gehabt in meinem Projekt und es war noch nicht einmal ein negatives Feedback dabei. Ich habe das Gefühl, der Hund ist ja so was wie ein Eisbrecher sowieso. Das heißt, wenn die schon mal auf mich zukommen und auf meinen Hund, dann sind die schon ganz anders unterwegs, als sie jetzt so im normalen Alltag im Arrest sind. Sie sind sehr offen, sie reden sehr viel, sie erzählen ganz oft auch von ihren Straftaten. Sie erzählen, dass sie ab sofort alles besser machen wollen. Und ja, man hat einfach das Gefühl, man hat sofort einen anderen Zugang zu ihnen. Und sie sind dann auch total engagiert bei der Sache und wollen unbedingt auch alles richtig machen, versuchen auch alles umzusetzen.

Es hat auch noch nicht einmal einer wirklich gebockt oder abgebrochen oder irgendwas in dieser Richtung. Also ich habe bis jetzt immer absolut positive Erfahrungen gemacht und sie waren halt immer sehr stolz. Also, ich habe dann auch zwei unterschiedliche Sorten Hund. Der eine Hund ist so, dass er sagt „Ich will eine ganz klare Struktur haben, sonst mache ich nicht das, was du von mir möchtest“ und der andere Hund ist so, der auch mal verzeiht, wenn man jetzt nicht so perfekt ein Zeichen gibt oder irgendein Signal. Der weiß halt, was er zu tun hat. Und ich guck dann immer schon im Vorgespräch von den beiden Arrestierten, die ich dann habe, wer ist so der, der so denkt, der ist der Tollste und der andere ist meistens so, der dann sich so ein bisschen kleinmacht und so ein bisschen unsicher wirkt. Und dann teile ich meistens schon die Hunde so ein, dass dann quasi der, der so unsicher wirkt, den Hund hat, der einfacher funktioniert und der andere einfach den Hund bekommt, der nicht ganz so einfach funktioniert. Und dadurch ist es dann fast immer so, dass während der Praxis dann wirklich der eine ackern muss, dass es funktioniert, der ja vorher so sicher war, dass er der Tollste, der Schönste, der Größte ist und der andere ein riesen Erfolgserlebnis hat, weil es bei ihm halt einfacher funktioniert.

Und das macht unheimlich viel aus. Im Laufe dieser Stunde, wo die mit den Hunden arbeiten, wird dann derjenige, der unsicher war, total sicher und stolz. Und ja, der merkt einfach, er kann was und er ist nicht so klein, wie er sich vorher gemacht hat. Und der andere merkt halt: „Na ja, ich muss vielleicht mal ein bisschen kleinere Brötchen backen und muss halt ein bisschen langsamer machen, weil ich bin ja gar nicht so der Ober King und krieg das so toll hin“. Und ich finde es immer sehr interessant so zu beobachten, wie sich dann in der Zeit, die beiden dann austauschen, auch gegenseitig, dass dann sogar der Schwächere, ich nenne es mal Schwächere, dem anderen sogar Tipps gibt, wie es besser geht oder auch dann darauf hinweist, was er beobachtet hat, was nicht optimal gelaufen ist und dann dadurch die Übung funktioniert. Und dann eigentlich beide total stolz und zusammengeschweißt da rausgehen und ja, einfach total stolz drauf sind, dass der Hund genau das gemacht hat, was von ihnen verlangt wurde und was sie ihm versucht haben beizubringen.

Das ist halt immer so ein total schönes Gefühl, wenn man so merkt, sie bedanken sich auch immer sehr und fragen dann sogar, ob sie noch mal dürfen, wie oft das Projekt denn läuft. Also ich bin mir sicher, dass man einfach einen ganz anderen Zugang bekommt und sie mir dann auch immer weitaus mehr erzählen als das, was ich sie…also, ich frage sie ja überhaupt nichts zu ihren Straftaten, warum sie hier sind oder wann sie entlassen werden. Und durch diesen Hund ist einfach dieser Redefluss gegeben, dass sie von sich aus erzählen und von sich aus erklären, warum, wieso, weshalb das schiefgegangen ist und wie alles besser wird und wann sie entlassen werden. Und ja, das ist für die einfach mal so ein kurzes Ausbrechen aus der Arrestwelt und darüber reden können. Das ist so mein Gefühl.

Moderatorin (13:00)

In der Jugendarrestanstalt sind ja auch unterschiedliche Jugendliche. Jetzt würde mich noch interessieren, welche denn dann an dieser Maßnahme teilnehmen. Wählen Sie das aus? Kommen die Jugendlichen auf sie zu? Und welche Kriterien spielen denn dabei eine Rolle?

Angelika Simon (13:07)

Also momentan ist es so, das ist eigentlich bunt gemischt. Also nach den Straftaten wird überhaupt nicht geschaut. Und ich persönlich gebe zu, ich möchte auch gar nicht wissen, weshalb sie da sind. Ich gucke mir das auch gar nicht mehr in der Akte an, ich gehe auf jeden ganz neutral zu. Und es ist halt so gewesen am Anfang. Das war total witzig, weil dann hieß es „Ach, wir geben dir mal die mit, die am problematischsten sind“, also am psychisch auffälligsten sind. Und da war dann einer dabei, das war also im Arrest ein richtiger Quertreiber, und der hat es wirklich bis zur Spitze getrieben mit allem, was ging. Und dann habe ich gesagt „Ja, gib ihn mir bitte mit, aber gib mir noch den anderen mit und sag mir bitte nicht, wer wer ist.“ Also ich wollte gar nicht wissen, wer ist der Problematische von den beiden. Und ich bin dann auf beide ganz normal zugegangen, hab halt ganz normal mein Programm mit ihnen abgespult und ich konnte im Nachhinein überhaupt nicht sagen, wer von den beiden jetzt der Problematische hätte sein sollen, weil die einfach bei mir überhaupt nicht problematisch sind.

Für mich die einzige Voraussetzung, dass jemand an der Maßnahme teilnehmen darf, ist, dass er Hunde mag. Also ich kann jetzt niemanden gebrauchen, der Hunde hasst. Jemand, der Angst hat, ist auch kein Problem. Wir haben jetzt schon viele gehabt, gerade muslimische Arrestierte, die sagen „Oh, ich habe aber Angst vor Hunden“ oder „Ich bin jetzt nicht so mit Hunden großgeworden“. Oder wir haben ganz viele, die kommen aus Ländern, wo Hunde mehr so als reine Wachhunde eingesetzt werden oder Hundekämpfe. Also so das Negative eigentlich und die nehme ich sehr gerne mit. Und ich habe auch bis jetzt jeden, der Angst hatte am Ende der Stunde so weit gehabt, dass er den Hund ganz alleine geführt hat und überhaupt keine Angst mehr vor denen hatte und sogar dann so Sprüche kamen wie „Oh, den würde ich sofort mitnehmen“. Weil die Hunde sind natürlich, muss man dazu sagen, jetzt auch keine normalen Haushunde, sondern sie sind sehr, sehr Menschen bezogen. Sie sind sehr freundlich, sie funktionieren halt auch, wenn andere Menschen sie führen, und dadurch ist es egal, was, also es geht nicht nach bestimmten Menschengruppen. Die einzige Voraussetzung ist eben, dass sie Tiere mögen oder Hunde mögen und dass sie einfach an der Maßnahme teilnehmen möchten. Und wie gesagt, wenn sie Angst haben, dann arbeiten wir daran, dass sie nachher keine Angst mehr haben, wenn sie psychisch auffällig sind…wie gesagt, umso auffälliger sie eigentlich waren, umso leichter oder einfacher waren sie in meiner Maßnahme. Ich habe noch mit keinem einzigen irgendein Problem gehabt. Mit keinem.

Moderatorin (15:52)

Jetzt haben sie uns ja schon einen ganz tollen Blick gegeben von einzelnen Fällen. Ist Ihnen denn ein Jugendlicher oder zwei oder drei Jugendliche besonders im Gedächtnis geblieben, was sie vielleicht mal teilen möchten. Eine Erfolgsgeschichte beispielsweise. Da waren ja jetzt schon einige Beispiele dabei, die zeigen, wie die Jugendlichen dann tatsächlich auf die Tiere reagieren und was die Hunde auch bei den jungen Menschen auslösen können. Ist Ihnen denn ein besonderer Fall, so nenne ich das jetzt einfach mal im Gedächtnis geblieben. Was eine besondere positive Auswirkung dann auch hatte, auf die Person.

Angelika Simon (16:41)

Ja, wir hatten eine Arrestierte, die war sehr nah dran mit Suizidgedanken. Richtig heftig, hat auch Briefe geschrieben, dass sie da in der Richtung und daraufhin hat dann der Fachdienst mich gebeten, sie mitzunehmen zu dem Projekt. Das habe ich dann auch gemacht und das war also wirklich wie so eine. Ja, ich weiß nicht, das kann man ganz schlecht beschreiben. Man hat in dieser Zeit gemerkt, wie sehr sie sich darüber erfreut hat, dass man ihr so viel Aufmerksamkeit geschenkt hat, dass man so viel mit ihr besprochen hat, dass man mit ihr so viel Zeit verbracht hat, ihr Dinge zu zeigen. Sie war auch sehr tierlieb, muss man dazu sagen. Also es war genau das richtige Medikament für ihre Geschichte, sage ich mal, hört sich jetzt blöd an, aber sie war eigentlich nach dieser Stunde komplett von diesen Gedanken weg. Und ich habe dann natürlich auch in dem Hinblick, dass es halt vielleicht wiederkommen könnte, sie dann auf die nächste Woche vertröstet, dass ich sie noch mal mitnehmen würde. Und ja, die war dann wirklich psychisch…und dieses labil war komplett weg. Und sie war wieder ganz normal dabei und hat sich gefreut auf die nächste Woche. Hat dann auch noch mal mitgemacht. Hat es auch super gut gemacht, muss man sagen. Also sehr viel Feingefühl auch für den Hund gehabt. Und ja, die hat dann die Zeit dann damit gut überstanden und ist mir eigentlich in sehr gute Erinnerung geblieben, weil sie eben überdurchschnittlich gut mit dem Hund gearbeitet hat. Und eben dann auch diese ganzen Suizidgedanken weg waren und es ihr einfach wieder gut ging.

Das sind, so glaube ich so Momente, die man halt im Hinterkopf behält. Wobei, ich habe eigentlich viele im Kopf, die ich in guter Erinnerung behalten habe, weil sie einfach ja sehr kooperativ sind bei dem, was wir machen. Und ich habe wirklich, ich habe nur einmal eine einzige, auch ein Mädchen in der ganzen Zeit gehabt, wo ich gedacht habe, die würde ich jetzt nicht noch mal mitnehmen, weil die war wirklich, die war wirklich schon sehr schwierig und aber die hat auch eigentlich so komplett zugemacht, wo man…ja, ich glaube, da hätte man alles ausprobieren können. Die war einfach bockig, ohne Ende. Das war eigentlich die Einzige in der ganzen Zeit, wo ich sag: „Hmm, die würde ich jetzt nicht noch mal mitnehmen.“ Aber alle anderen sind wirklich am Ende da rausgegangen. Und bis auf so ein paar ganz Spezielle, die eben auch sehr, sehr am Boden waren. Da hatte ich auch einen Jungen, einen jungen Mann, der war halt von zu Hause, ganz schlimme Verhältnisse und manchmal hatten wir so ganz arme Tropfen, wo man denkt „Oh mein Gott!“. Und da merkst du einfach, wenn die einfach diese Streicheleinheiten von dem Hund gibt oder jemanden streicheln können und mit dem Hund knuddeln können und einfach so das Gefühl haben, geliebt zu werden und wenn es auch von dem Hund ist. Das gibt einem dann halt auch sehr viel. Ja, dass man die nachher ungern wieder abgibt, weil die einfach so gerne bei einem waren. Also ich habe da schon mehrere eigentlich im Kopf. Das Mädchen war ganz extrem, wo ich so dachte: „Oh wie schön, wie das funktioniert hat“, aber ich hatte auch wie gesagt den einen oder anderen, der sehr problematisch war und bei mir wirklich so gut gelaufen ist, dass ich gedacht habe: „Schade, dass die nicht wirklich mit Hunden in ihrer Freizeit arbeiten.“

Moderatorin (19:57)

Mir ist beim Zuhören noch ein weiterer Punkt aufgefallen, nämlich der Aspekt Verantwortung. Die Jugendlichen tragen ja in gewisser Weise auch Verantwortung, wenn sie mit dem Tier auf dem Gelände sind und wenn sie mit den Hunden den Parcours absolvieren. Inwiefern spielt denn verantwortungsvoller Umgang mit den Tieren auch eine Rolle beim sozialen Training?

Angelika Simon (20:18)

Genau. Bevor wir dann in die Praxis gehen, zeige ich ihnen halt, wie Sie den Hund führen und Sie führen beide Hunde parallel ohne Leine. Und das von der ersten Minute an, was auf der einen Seite natürlich die Hunde jetzt auch kennen, aber wenn sie das nicht ordentlich machen, machen die Hunde tatsächlich nicht das, was sie sollen. Und deswegen ist es halt ganz wichtig, dass man ihnen vorher erklärt, wie sie mit den Hunden umgehen. Also es gibt keine. Meine Hunde werden von niemandem gemaßregelt, meine Hunde werden von niemandem angebrüllt oder wenn was nicht klappt, weggeschubst oder irgendwas. Also ich erkläre dann vorher genau die Spielregeln, dass die Hunde nur über positiven Verstärker, wie gesagt Leckerchen oder Spielzeug gearbeitet werden. In dem Fall, wie wir hier arbeiten über Leckerchen. Ich erkläre ganz viel zu der Körpersprache, was das aussagt, wie sie sich dem Hund gegenüber geben. Und sie haben eine riesen Verantwortung, dass sie allein schon gucken müssen, dass der Hund bei ihnen bleibt, weil es sind ja zwei Hunde und die kennen sich und die würden auch gerne miteinander Quatsch machen. Und dann am Anfang erkläre ich Ihnen halt, wie sie das genau machen müssen. Auch wenn der Hund jetzt zu dem anderen dann doch hingeht, dann zeige ich ihm, wie sie ihn wieder zurückholen können. Aber alles nur freundlich und alles nur mit Körpersprache und mit Belohnung. Und ja, das klappt eigentlich sehr, sehr gut. Also bis jetzt hat noch keiner Hand angelegt, sowieso nicht. Da würde ich auch, glaube ich, da wäre ich richtig sauer. Aber es hat auch noch keinen Hund angebrüllt oder ist überhaupt laut geworden. Manchmal kommt so ein bisschen der Befehlstonton durch bei den jungen Leuten, dass sie dann so „Fuß“ oder „Sitz“ oder wo ich dann sage: „Stopp, wir sind hier nicht bei der Bundeswehr“. Der Hund ist weder schwerhörig, noch muss man dem das so streng sagen. Und meine Hunde sind auch tatsächlich so, der eine ganz besonders. Der, der alles richtig machen will. Wenn man in dem Befehlston oder in so richtigen Kommandos mit dem spricht, dann ist der relativ schnell beeindruckt und dann zeigt er das auch, indem er nicht mehr so freudig mitarbeitet.

Und dann zeige ich den Jungs das gleich und sage noch mal: „So, wie du mit dem redest, ist der überhaupt nicht freudig mit dir unterwegs, aber das ist unser Ziel. Er soll Spaß haben, genau wie wir Spaß haben wollen“. Und dann schrauben die jungen Menschen sich auch zurück. Und dann zeige ich ihnen, wie sie sie auch verbal motivieren können und belohnen müssen. Und dann läuft er freudig wieder nebenher und dann ist die Welt wieder in Ordnung. Also ich bin da schon hinterher, dass sie eben auf der einen Seite die Verantwortung übernehmen für den Hund, aber ich gebe sie halt auch nicht ab. Also, ich habe die immer im Auge. Und wenn ich merke, einer wird jetzt gerade ein bisschen grob oder bisschen barsch oder der Ton stimmt einfach nicht mehr, dann bremse ich das direkt ein und zeige Ihnen, wie es besser geht und zeige Ihnen auch, dass sie manchmal aus sich herausgehen müssen und Ihre Stimmlage bisschen lustig erhöhen sollten. Einfach dem Hund zuliebe, weil er dann ja, weil der Hund dann einfach merkt „Ich mache hier alles richtig“. Und was ich auch gleich so nicht erwähnt habe: Wir arbeiten auch mit Clickern, das heißt die Jungs bekommen…das ist wie so ein Knackfrosch für die, die es nicht kennen und dieser Clicker kündigt quasi eine Belohnung an, das heißt, wenn ich einen Hund auf eine Distanz belohne, dann muss ich im richtigen Moment clicken. Und zwar das Verhalten, was ich gerade möchte. Da habe ich genau ein bis eineinhalb Sekunden Zeit für. Das ist die Assoziationszeit, die ein Hund hat. Und das ist auch so eine Herausforderung, dass die Jungs im richtigen Moment das richtige Verhalten belohnen und der Hund genau weiß, dass er belohnt wird. Das ist auch noch so in ihrer Verantwortung, dass Sie lernen, den Hund genau im richtigen Moment zu belohnen oder eben nicht zu belohnen. Und die Signale, deswegen sagen ich auch immer Signale, weil Kommando wie gesagt, es hört sich für mich immer so nach Bundeswehr und streng an, und die Signale, die sie ihnen dann halt geben, sollen sie ihnen halt in einem normalen Ton geben und nicht in so einem Befehlston oder in so einer Bundeswehrstruktur. Das möchten wir eigentlich nicht. Soll ein Miteinander sein und das ist es auch. Und da habe ich auch wie gesagt bis jetzt immer gute Erfahrungen mitgehabt.

Moderatorin (24:31)

Frau Simon, Sie haben zu Beginn gesagt, dass es sich erst mal um ein Pilotprojekt handelt. Können Sie dennoch schon mal einen Ausblick wagen, wie es damit gegebenenfalls weitergehen könnte?

Angelika Simon (24:42)

Genau. Das Projekt lief jetzt von März bis August als Pilotprojekt einfach mal, um auszutesten, ob es funktioniert. Der Geräteparcours ist draußen. Das heißt, wir waren auf gutes Wetter angewiesen und so witzig, wie sich das anhört, aber jeden Freitag war in Gelnhausen gutes Wetter. Wir konnten immer draußen den Parcours stattfinden lassen, mussten nichts umräumen nach innen. Dann wurde es jetzt ab 01.09 fest etabliert, zumindest schon mal hier im Jugendarrest und läuft auch wohl über das Jahr 2022 weiter. Mit einer, ja, wir haben ein bisschen aufgestockt. Wir hatten zuerst gedacht, wir machen zweimal zwei Stunden die Woche. Das hat leider nicht funktioniert, weil zwei Stunden ist einfach zu kurz. Mit allem mit Theorie und man möchte ja dann auch nicht drängeln. Die sollen Fragen stellen können. Wir müssen das alles erklären und manchmal den Parcours noch auf und abbauen. Wir haben es jetzt erweitert auf zweimal drei Stunden pro Woche. Das mache ich aber außerhalb meiner normalen Dienstzeit und werden es jetzt erst mal laufen lassen, beobachten.

Ich habe jetzt schon eine Anfrage oder zwei Anfragen von anderen Anstalten in Hessen, die das auch gerne bei sich mal ausprobieren würden. Da ist jetzt noch nichts fest, wie das da weitergehen wird. Ja, da muss ich, das müssen wir noch weiter eruieren, ob das ja nach Hessen rausgetragen werden soll und kann und ob das sein wird, weil in meiner Funktion als Geschäftsleitung wird es schwierig werden, viele oder mehrere Anstalten noch abzudecken. Und dann muss man noch gucken, was man mit den Hunden leisten kann. Ich habe insgesamt vier Labradore zur Verfügung, das heißt zwei, die jetzt schon fertig ausgebildet sind und die das in Perfektion machen. Ich habe noch zwei Kleine, ziehe ich gerade nach. Die habe ich auch schon mit eingesetzt, wenn ich gut durchkam und noch viel Zeit übrig hatte oder zur Wiederholung noch mal dieselben Arrestierten hatte, die schon wussten, wie es geht. Dann habe ich auch mit den kleinen Hunden schon geübt. Klappt auch schon super. Und ja, ich würde es gerne natürlich erweitern, das macht mir wahnsinnig viel Spaß. Ich glaube, es bringt auch sehr viel für die Jugendlichen oder überhaupt für den, insgesamt für den Strafvollzug wäre es insgesamt eine Bereicherung. Wo der Weg da hingeht, müssen wir mal abwarten. Da weiß ich noch nicht genau, wie es aussehen könnte oder sollte. Momentan, wie gesagt läuft es erst mal hier in der Einrichtung und mal sehen, was vielleicht noch draus wird.

Moderatorin (27:10)

Da haben Sie ja noch viel vor und ich wünsche Ihnen natürlich alles Gute und gutes Gelingen. Man muss sich das vor Augen führen. Sie investieren da wirklich sehr, sehr viel private Zeit dafür. Und das ist tatsächlich ein riesen Gewinn für die Jugendlichen, dass sie dieses Projekt implementiert haben und auch noch weiterführen werden. Das verdient Wertschätzung und Respekt. Vielen Dank und weiterhin alles Gute und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um das Projekt vorzustellen.

Angelika Simon (27:38)

Sehr gerne. Vielen Dank auch, dass ich das alles mal so darstellen durfte.