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Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat

Folge 20 (#2) – NS-Euthanasieprozesse - Ein Gespräch mit Johannes Warlo

Johannes Warlo, Oberstaatsanwalt a.D. , wurde 1961 von Fritz Bauer in die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main berufen.

Bei dieser war Herr Warlo vor allem mit Ermittlungen wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, vornehmlich im Zusammenhang mit den sogenannten Euthanasiemaßnahmen des Drittes Reiches sowie mit der Vorbereitung und Abfassung der Anklageschrift gegen Angestellte und Ärzte der Euthanasieanstalten betraut. In dem zweiteiligen Podcastgespräch erzählt Herr Warlo wie er rückblickend diese Euthanasie-Prozesse erlebt hat, ob er mit deren Bilanz zufrieden ist und warum das Strafrecht noch nicht für Prozesse dieser Art ausgelegt war.

 

Moderatorin (00:03)

Zeit für Justitia. Der Justiztalk aus Hessen.

Und da haben sie dann natürlich auch mal diese ganzen Erlebnisse rekapituliert und auch mit Fritz Bauer mal drüber gesprochen? Wie war denn überhaupt das Verhältnis dann?

Johannes Warlo (00:23)

Als ich kam, da hat Bauer mich eigentlich gar nicht mal so richtig eingestellt in die Behörde, als Sachbearbeiter für ein bestimmtes Gebiet, sondern mich auch für alles Mögliche herangezogen. Also ich musste verschiedene einzelne Sachen für ihn erledigen. Zum Beispiel beim Document Center in Berlin. Manche Nachprüfungen von irgendwelchen Personen waren eine ganze Menge war auch für ihn zu tun. Er hat mich auch zu allen möglichen Sachen herangezogen. Und er sprach mit mir auch über Eichmann und ja, und alles Mögliche. Aber das wurde mit Neid auch bei unserer Behörde gesehen, dass man dann dafür sorgte, dass ich also auch in eine Abteilung eingegliedert würde und nicht dem Bauer persönlich unterstand. Bauer hat mir vieles von sich erzählt, auch von seinen Auffassungen und so weiter. Damals ging es auch um eine Revision des damaligen Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung. Und da musste unsere Behörde auch eine Stellungnahme abgeben für den Entwurf eines überarbeiteten Strafgesetzbuches. Und da weigerten sich die Leute eigentlich von der Abteilung, die das hätten machen müssen, weil die sagten, sie kennten die Ideen von Bauer nicht und so weiter. Das waren solche die Leute, die von der alten Garde da waren und da musste ich das machen. Als junger Kerl musste ich mich mit den Auffassungen von Bauer auseinandersetzen und eine Stellungnahme machen, wie sich die Generalstaatsanwaltschaft ein neues Strafgesetzbuch vorstellen sollte. Und so wurde ich zu allem Möglichen angesprochen. Ich war praktisch Assistent von Bauer.

Moderatorin (01:55)

Wenn man so will. Und was hat denn Fritz Bauer dazu veranlasst, auch tatsächlich diese ganzen Prozesse an sich zu reißen, das war ja schon… Frankfurt war ja dann das Zentrum.

Johannes Warlo (02:03)

Ach Gott, er hat sie nicht an sich gerissen. Aber nachträglich würde ich sagen, er wollte eine offizielle Verarbeitung der ganzen Nazizeit eigentlich haben und der Verbrechen. Da wollte er bestimmte Eckpunkte setzen. Das waren einmal diese Euthanasiemorde und da war eigentlich einer dieser Vertreter der Heyde. Und dann war das später die sogenannte Endlösung und alle diese Verfahren, die wollt er öffentlich machen. Und ja, das war der Grund was er über Kriegsverbrechen und Kriegsverbrecher und so weiter dagehalten hat, darüber hatte er auch vorher schon als er damals noch in Dänemark oder in Schweden war, schon ein Buch geschrieben.

Moderatorin (02:52)

Wir haben jetzt über Professor Heyde gesprochen. Was waren denn eigentlich die Vorwürfe und was ist bei den Ermittlungen rausgekommen? Also von dem ganzen Komplex, diesen T4 Komplex.

Johannes Warlo (03:01)

Also die Vorwürfe waren natürlich die ganze Euthanasieaktion unter dem Gesichtspunkt des Mordes. Das war ja in einem der Nürnberger Prozesse, im sogenannten Ärzteprozess war das ja auch Gegenstand an diese Nürnberger Gerichte, aber die hatten eigentlich nur zum Gegenstand die Schädigung von Angehörigen der Alliierten und haben eigentlich nicht so sehr als Opfer die deutschen Staatsangehörigen im Blickfeld gehabt. Und es ging darum, dass auf eine breite Basis zu stellen und zu zeigen, wie Hitler sich das neue Deutschland vorstellte, nicht wahr? Und einer dieser Punkte war diese Rasseidee und die Reinerhaltung der Rasse und das kranke Leute, vor allen Dingen geisteskranke Leute und Erbkranke, dass man die ausmerzt, damit man eine gesunde nordische Rasse züchten konnte. Das war wohl letzten Endes der Hintergedanke. Und in Nürnberg hat man damals gesagt, er wollte die Heilanstalten frei haben von diesen Leuten, um Lazarettraum für den Krieg zu bekommen und auch die Ärzteschaft und die Pfleger für Verwundete und Betreuung und für so was haben wollte. Aber das weiß ich nicht, ob das wirklich entscheidend war. Entscheidend war wohl der Rassegedanke. Und das ist natürlich unter dem Gesichtspunkt unter dem Strafgesetzbuch natürlich ein Gesichtspunkt des Mordes und des Massenmordes gewesen.

Moderatorin (04:31)

Und es gab ja auch oft das Problem, dass viele Verteidiger Verhandlungsunfähigkeit beantragt haben.

Johannes Warlo (04:38)

Das ist ein großes Problem der damaligen Verfahren gewesen, dass die ständig wegen lächerlichster Sachen, ich weiß nicht, Gutachter fanden, die die Leute für verhandlungsfähig erklärten und die Gerichte viel zu geil auf dieses Feld da aufgesprungen sind. Und das war etwas problematisch. Wenn ich bedenke, dass also die von den Ärzten, die ich angeklagt hatte, die waren fast alle, obwohl sie ihre Praxis und zum Teil sehr große Praxen damals weiter betrieben haben, als für verhandlungsunfähig betrachtet wurden. Dann fragt man sich eigentlich, wie kann man die Leute als Ärzte zulassen und arbeiten lassen, die sich aber nicht strafrechtlich verantworten können, die verhandlungsunfähig sind. Das ist eigentlich unvorstellbar. Aber man hat das gemacht und es gab auch Ärztekammern und so weiter und keiner hat dagegen was getan. Man wusste allgemein, dass die Leute belastet waren, aber man hat ihnen gewissermaßen ein Unmündigkeitszeugnis ausgestellt für Verhandlungen. Und ich denke an Dr. Hefelmann, der angeblich sterbenskrank war und wo der Gutachter ernsthaft sagte, mehr als zwei Jahre gäbe er ihm nicht. Aus den zwei Jahren sind zwanzig Jahre geworden. Und der war da verhandlungsfähig. Das Einzige, was ich bei dem Mann erreichen konnte, war letzten Endes, ich hörte dann von Leuten, dass in Erbstreitigkeiten würde er wie ein Wilder durch München durchrasen und alle möglichen Leute mit dem Auto da aufsuchen würde. Und der war damals auch schon ziemlich alt, und da habe ich damals an die Verkehrsbehörde geschrieben und habe denen das Gutachten gezeigt, habe gesagt „Der Mann ist verhandlungsunfähig, ich glaube da müssen wir wenigstens den Führerschein entziehen“. Und das ist das Einzige, was ich erreichen konnte.

Moderatorin (06:31)

Das ist aber gelungen? Okay, immerhin. Und was ich noch gefunden habe ob das stimmt, weiß ich natürlich auch nicht. Aber es wurde wohl von dem Professor Heyde ein Abschiedsbrief gefunden.

Johannes Warlo (06:43)

Das ist richtig. Ja, er hat sich an seinen Hosenträgern aufgehängt. Als Arzt weiß man das genau, wie man das macht. Und man muss eigentlich auch zur Heyde sagen, Heyde war eigentlich derjenige, der mit aufgebaut hat die Euthanasieaktion, aber er hat dann eigentlich nur als Obergutachter mitgewirkt. Das heißt er hat von mehreren Gutachtern das endgültige Urteil für den Tod von den Patienten gefällt, aber dann verwaltungsmäßig ist die Sache anders gelaufen.

In der T4, weil da gab es eine regelrechte Organisation, die in der Tiergarten Straße in Berlin beheimatet war, deswegen der Name T4. Und der Geschäftsführer war ein gewisser Allers und einer der großen Wortführer dabei und auch mitverantwortlich beim Aufbau war, war ein gewisser Vorberg, der dann nachher die sogenannte Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft leitete. Das war eine Versammlung von Bussen, die er zusammengestellt hat, zum größten Teil aus der Post und die Transporte durchführte. Aber in Wirklichkeit war er praktisch die graue Eminenz für die ganze Geschichte. Der war der direkte Verbindungsmann zu dem damaligen Brack, welchen Parteirank er damals hatte. Der war einer der Abteilungsleiter, der in der Kanzlei des Führers und der ist auch im Zusammenhang mit diesen Euthanasiemaßnahmen von dem damaligen Nürnberger Gerichtshof zum Tode verurteilt worden.

Dann war da noch ein Dr. Brandt, ein Begleitarzt von Hitler, der war auch ein sogenannter Euthanasiebeauftragter von Hitler. Und die sind damals zum Tode verurteilt worden. Und der Vorberg war eigentlich der direkte Mann, der diese Euthanasieaktion dann mit leitete. Für den Aufbau dafür war der Herr Bonisch zuständig. Das galt ja damals als eine ganze Menge von juristischen Verwaltungsarbeiten damit zu leisten. Es gibt die Frage der Todeserklärung, standesamtliche Nachrichten. Die Standesämter mussten ja benachrichtigt werden vom Tod und wie man das macht, was man da extra Standesämter an den sogenannten Euthanasieanstalten einrichtete. Und das sind diese Verwaltungsaufgaben, die da passierten, die wurden von Dr. Bohne aufgebaut und das war dann diese regelrechte Organisation. Wie gesagt, Geschäftsführer war dann der Herr Allers, der Bohne war sehr wichtig und dann war ein Dr. Kaufmann für die Einrichtung der… nicht Doktor Kaufmann, der hieß nur Kaufmann, der für die Einrichtung, für den personalen Aufbau der Euthanasieanstalten dafür zuständig war. Ja, das waren so die führenden Leute von der Euthanasieaktion, von der sogenannten T4. Und wie gesagt, eigentlich, es ging ja dann darum, nachdem also die Anklage erstellt worden war, gegen die vier Leute Heyde, Bohne, Tillmann und Hefelmann. Da lief ein allgemeines Verfahren, das auch beim Untersuchungsrichter anhängig war, gegen weiteres Personal, das mit der Euthanasieaktion zu tun hatte. Und das sollte ich dann übernehmen, weil die beiden Herren mit der Anklage beschäftigt waren, dafür keine Zeit hatten und auch das Verfahren in Limburg damals vorbereiten sollten. War übrigens unglücklich, dass das nach Limburg ging. Limburg hat sich als sehr ungünstig für solche Verfahren herausgestellt, auch in dem späteren Verfahren gegen die Generalstaatsanwälte und Oberlandesgerichtspräsidenten.

Moderatorin (10:22)

Und als sie mit den beteiligten Personen gesprochen haben, haben sie da das Gefühl gehabt, dass da so was wie Mitgefühl, also man hat das bereut, was passiert ist? Haben das die Personen verstanden?

Johannes Warlo (10:35)

Nein. Nein. Also das kann ich auch so am Ärzteprozess… in dem sogenannten Ärzteprozess damals. Da muss ich sagen, da ist nicht ein Wort davon gefallen. Da geht es nicht um wie arm die Leute damals waren …die waren damals junge Assistenzärzte und so weiter. Nicht ein Wort ist gefallen. Das veranlasste mich am Schluss noch mal ein Schlusswort dazu zu sagen und darauf hinzuweisen, dass es eigentlich um die Kranken ging und um die Patienten und um deren Leben. Und nicht nur um die angeblichen Ärzte als solche, die da beteiligt wären, nicht wahr? Und was die für Gefühle hatten.

Moderatorin (11:07)

Und wie war so Ihr Eindruck? Also waren Sie am Ende mit den, ich will es jetzt mal sagen, Ergebnissen zufrieden? Wahrscheinlich eher nicht, oder?

Johannes Warlo (11:15)

Nein, wenn ich das nachträglich betrachte, da muss man sagen, wir haben einige Urteile, aber das war dann alles schon nach dem Tode von Bauer. Vor allem Dingen ich habe die Verurteilung da erreichen können gegen Vorberg und gegen Allers. Kaufmann war wieder verhandlungsunfähig. Bohne ist letzten Endes auch verhandlungsunfähig gewesen, obwohl der zweimal oder dreimal ausgeliefert werden musste aus Südamerika. Das ist das große Problem gewesen. Auch der Dr. Schumann, das ist auch so eine Rolle für sich, weil er dann auch in Auschwitz erweisen sollte, dass man durch Röntgen Frauen, ohne dass sie das groß merkten, unfruchtbar machen sollte. Das war gegen die Juden damals gerichtet, da war Doktor Schumann dabei beteiligt bei den Versuchen. Die waren alle verhandlungsunfähig. Und das ist als Ergebnis, im Grunde genommen war das unzureichend. Also die paar Leute, die aber niemand sonst kannte und die haben auch kein so großes Echo allgemein gefunden in der Bevölkerung.

Und das veranlasste mich auch damals, da kam ein gewisser Herr Klee, der sich irgendwie auch um Kranke und mit der Behandlung von Kranken in der Gesellschaft kümmerte. Und der kam auch auf die Idee von diesen Euthanasiemaßnahmen und der hatte großes Interesse an unseren Akten. Die habe ich ihm natürlich dann alle gezeigt. Wobei ich sagen muss, ich habe nicht das Justizministerium danach gefragt, obwohl es damals vorgeschrieben war und die Akteneinsicht gewahrt worden würde. Ich wusste nämlich genau, wenn sie das mit großem Bedenken da genehmigen würden, dann müssten wir alle Namen schwärzen, und das war ja nicht interessant. Und da habe ich mir gesagt, ich kümmere mich einen Dreck drum, das ist Gegenstand von Verfahren gewesen, öffentlichen Verfahren. Wer hören wollte der konnte ja rein und sich das Anhören. Warum sollen wir diese Urkunden und so weiter, die wir davorgesetzt haben, für alle zugänglich, warum sollen wir die nicht dem Klee zugänglich machen? Und was wir durch Verfahren nicht erreichen können, das können wir wenigstens durch eine Erörterung in der Literatur erreichen. Und deswegen habe ich mich dafür gekümmert, dass der Klee sich damit auseinandergesetzt hat. Und da hat er dann die bekannten Bücher dafür geschrieben, und da wurde das allmählich auch etwas bekannt. Aber wie gesagt, das war mir wichtig, weil ich merkte, dass die Verfahren, wie sich der Bauer vorstellte, dass dadurch die ganze Öffentlichkeit aufgeschreckt wurde, im Ergebnis nicht stattfand.

Moderatorin (13:37)

Und die Öffentlichkeit hat ja auch eine besondere Rolle gespielt, beziehungsweise auch der BGH, denn da wurden ja etliche Verfahren sind auch in Revision gegangen und die wurden auch dann so instandgehalten, sprich es gab dann diverse Freisprüche.

Johannes Warlo (13:52)

Nein. Das Groteske ist, dass der von den vier Assistenzärzten, die ich angeklagt hatte, von den vier Assistenzärzten war einer der schlimmste. Und der ist auch am längsten dageblieben, ist dann persönlicher Adjutant sogar von dem Nachfolger von Nitsche tätig gewesen, hat Skopolamin und alle diese Vergiftungs… die Gifte, die Medikamente, die man zur Tötung dann nachher bei der sogenannten wilden Euthanasie verwendet hatte, die hat er mit beschafft. Da gab es Dokumente davon. Und der ist freigesprochen worden, weil er angeblich glaubte, dass das alles auf einer rechtlichen Grundlage geschah. Aber eine, die es nie gegeben hat und die er deswegen auch nie gesehen haben könnte. Das war natürlich absolut entmutigend. Denn wenn der Schlimmste freigesprochen wird und die anderen, die wenigstens versuchten, sich aus der ganzen Aktion, weil sie ein ungutes Gefühl hatten, wieder herauszukommen, verurteilt wurden. Wie kann man dann noch weiter gegen Leute, die noch weniger belastet sind, vorgehen? Das aber ist das Problem gewesen und das hat letzten Endes auch dazu geführt, dass die Sache mehr oder weniger im Sande verlaufen ist.

Moderatorin (14:59)

Aber war das für Sie dann ein Gerechtigkeitsempfinden?

Johannes Warlo (15:01)

Natürlich. Es ist ungerecht, dass die Leute, die das Gleiche tun, ein Teil davon gar nicht verhandelt wird oder ein Teil wird freigesprochen, und die anderen, die müssen dafür büßen. Das ist natürlich eine Frage der Gerechtigkeit.

Moderatorin (15:15)

Die FAZ, also die Frankfurter Allgemeine Zeitung, hatte einmal getitelt nach einem nach einem Prozess: „Irrigerweise an der Legalität geglaubt. Freispruch im Frankfurter Euthanasieprozess. Frenetischer Beifall im Zuhörerraum.“

Johannes Warlo (15:31)

Das war der Ärzteprozess. Ja, nun muss man dazu sagen, da war als Zuhörer hatten die Ärzte da irgendwie ihre Verwandten und Bekannten da im Zuschauerraum und ja, aber immerhin, das war schon peinlich. Das war schon peinlich.

Moderatorin (15:52)

Das ist ja auch irgendwo ein Rückschlag, oder?

Johannes Warlo (15:54)

Dem Gericht selbst peinlich. Ich muss auch sagen, man merkt ja auch an der Verhandlungsführung, wie die Sache lief. Also, ich merkte zunächst mal selbst, dass auch das Gericht nicht gerne diese Ärzte da als Angeklagte haben wollten. Aber ich merkte allmählich, wie im Laufe des Verfahrens dann das Gericht selbst sich wandelte, in der Auffassung.

Moderatorin (16:19)

Und wenn man dann innerhalb des Prozesses verstanden hat, worum es ging.

Johannes Warlo (16:23)

Ich kann Ihnen das heute sagen, das habe ich dann nachher herausbekommen. Die Berufsrichter wollten verurteilen, und sie sind damals… damals gab es noch zwölf Geschworene. Sie sind damals von Laienrichtern überstimmt worden. Das war die Situation damals. Und in der Bevölkerung hat das keinen großen Anklang gefunden. Die Frage ist ja auch schon in den 20er-Jahren erörtert worden. Dieses bekannte Buch von Koch über… aber das ist natürlich damals auch völlig anders, unter ganz anderen Voraussetzungen gewesen. Aber die Auffassung in der Bevölkerung war geteilt. Manche waren auch froh, wenn sie ihre Verantwortung für ihre Kranken losgeworden sind.

Moderatorin (17:10)

Aber was meinen Sie, woran das lag, dass gerade in der Bevölkerung dieser Zuspruch einer Verurteilung gar nicht gegeben war. Weil das höhere Positionen waren, die dann die Person reingenommen haben? Das waren ja Ärzte, Beamte…

Johannes Warlo (17:22)

Das war die Propaganda der Nazis. Da gab es auch Filme über unwertes Leben und solche Geschichten. Und da gab es ja diesen einen bekannten Film „Ich klage an“, der die Situation völlig anders darstellte als dieser Massenmord. Es ist ein Unterschied, ob ich von einer kranken Frau, dessen Mann Arzt ist und die Frau nicht mehr leiden sehen kann, ihr noch ein Gift gibt oder ob es massenweise die Leute, ohne dass sie gefragt werden, einfach ausgerottet werden. Durch sogenannte Fragebogen wurden die ja erfasst, die Kranken und da man den Ärzten der Heil- und Pflegeanstalten, in denen die Kranken untergebracht waren, gar nicht sagte, was der Sinn der Sache war, glaubten zumindest anfänglich viele Anstaltsärzte und Anstaltsleiter, dass man die noch arbeitsfähigen Kranken, danach wurde ja ausdrücklich gefragt in den Fragebögen, dass man die irgendwo anders zur Arbeit einsetzen würde. Und man brauchte diese Kranken zur Arbeit oder zur Mitarbeit in den Anstalten selbst. Die haben ja viele Sachen, die auch Pfleger machen müssten sonst, haben auch viele Kranke da verrichtet und die Anstaltsleiter hatten Angst, dass man die ihnen abzieht, und da hat man sich als besonders krank hingestellt. Und ausgerechnet wurden die vergast. Und die anderen, die blieben zu Hause.

Moderatorin (18:43)

Sie haben jetzt zu Beginn gesagt, dass diese Listen aus dem Innenministerium an die entsprechenden Anstalten gesagt wurden. Jetzt will ich nur mal einen Schritt zurückgehen. Es ist ja aus der Geschichte bekannt, dass es einen Erlass von Hitler gab, dass diese Endlösung, Euthanasie etc. durchgeführt werden soll, wenn man so sagen kann. Aber der Weg dahin war ja nicht beschrieben. Jetzt hat also quasi dann doch jeder Arzt, Ärztin wie auch immer dann für sich entschieden, wie das durchgeführt werden sollte oder wie muss man das Verstehen? Was auch später für die Prozesse interessant wäre.

Johannes Warlo (19:16)

Also die Frage, die wurde auch in der Kanzlei des Führers, also in dieser Abteilung, die mit den Sachen befasst war, in der Abteilung Brack wurde durchaus diskutiert. Es ging darum, das zunächst auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen, darauf bestanden viele Leute. Vor allen Dingen die Ärzte, die bestanden auf eine gesetzliche Grundlage. Das wurde von Hitler immer wieder abgelehnt, persönlich abgelehnt von Hitler. Dann hat man versucht, über Verwaltungswege eine Verwaltungsanordnung oder einen sogenannten Erlass von Hitler zu bekommen. Auch das wurde abgelehnt. Aber der Hitler hat sich dann bereit erklärt, ein sogenanntes Ermächtigungsschreiben, das eigentlich ein Privatschreiben Hitlers war, mehr oder weniger so zu verfassen, in dem das hieß Dr. med. Brandt und Reichsleiter Boule und Dr. med. Brandt werden ermächtigt, die Befugnisse namentlich benannter Ärzte so auszudehnen, dass sie bei kritischster Würdigung unheilbar Kranken den Gnadentod gewähren können. Und das war eigentlich nichts anderes als eine Art Begnadigung für diese Leute von Boule und Brandt und von den beauftragten Ärzten, eine Freistellung für eventuelle Strafverfahren, dass sie nicht bestraft werden. Das war nichts anderes als eine Art vorweggenommene Gnadenerlass. Sonst gar nichts.

Das ist auch nicht veröffentlicht worden, sondern das haben bestimmte Leute nur gehabt. Und gewisse Leute, die sich da mal weigerten, damit zuarbeiten, hat man ihnen dann nur ganz kurz gezeigt mit der Unterschrift von Adolf Hitler. Aber auch nur für kurze Zeit. Und da hatte man das gleich wieder weggesteckt. Da kriegte keiner eine Abschrift. Das war äußerst geheim gehalten. Also es gab keine gesetzliche oder auch ordnungsgemäße verwaltungsmäßige Anordnung dafür. Aber es gab so etwas. Die Erfassung der Kranken durch Fragebögen. Das war offiziell von der Gesundheitsabteilung des Innenministeriums, dem Dr. Linden. Das war das einzige Offizielle, was dann dahinterstand, das war alles.

Moderatorin (21:22)

Dann fragt man sich ja umso mehr, wie es denn dazu nicht kommen konnte, dass diese Menschen als Mittäter oder Täter verurteilt werden konnten, sondern tatsächlich nur zur Beihilfe. Das war ja auch ein wesentlicher Punkt, obwohl es ja nicht mal auf gesetzlicher Grundlage saß.

Johannes Warlo (21:37)

Es wurden alle als Gehilfen verurteilt. Meines Erachtens ist nicht ein einziger anders als Mittäter verurteilt worden. Ja, warum? Im Grunde genommen das alte Lied. Der Täter war nur der Hitler. Und bei den beiden KZs war das der Himmler und auch der sich noch erfolgreicher als die anderen auf Beihilfe berufen können.

Moderatorin (22:03)

Aber war das nicht für sie und für Fritz Bauer und alle anderen, die daran beteiligt waren, auch wahnsinnig ernüchternd, dass man tatsächlich dann gar nicht richtig die Täter verurteilen konnte für das, was sie gemacht haben, sondern dass man eigentlich einen Täter hatte, der gar nicht mehr lebte.

Johannes Warlo (22:18)

Das war das eine und das andere war halt praktisch, das ist ja Übergangszeit von der Nazizeit zu der neuen Demokratie. Und diese Übergangszeit, da waren ja eine ganze Menge von Leuten, die früher eben auch ihre Stellung hatten. Vergessen wir nicht, dass in Hessen zum Beispiel und manchmal war es noch schlimmer, war die Hälfte der Staatsanwälte und Richter in der Nazizeit in der Zeit des Dritten Reiches tätig. Und man hat ja die Leute, die unangenehm waren, die man nicht haben wollte, hat man ja irgendwie entlassen.

Moderatorin (23:00)

Aber trotzdem war es Fritz Bauer weiterhin ein Anliegen die Verhandlungen weiter zu…

Johannes Warlo (23:06)

Ja, gerade der wollte ja immer wieder, auch in seinen Reden hat er ja immer dagehalten, dass man die Leute zur Verantwortung ziehen sollte. Seine große Behauptung war ja immer, man hätte auch Nein sagen müssen, und das ist richtig. Aber sagen Sie mal Nein. Denn wenn man dann die Stellung riskiert und das Peinliche ist ja, und das ist dann ein späteres Verfahren gewesen, dass die Präsidenten der Oberlandesgerichte und der Generalstaatsanwälte mal versammelt worden sind in Berlin von dem damaligen geschäftsführenden Justizminister und unterrichtet wurden von der ganzen Geschichte. Und dass da kein einziger auch mal aufgestanden wäre und gesagt hat „so geht das nicht“. Einige haben sich zwar Notizen zum Teil gemacht und haben vielleicht untereinander geraunt, dass das bedenklich ist und so weiter. Aber sie wussten genau, ihnen wurde das im Einzelnen mitgeteilt, wie die Sache läuft, wie extra Sonderämter eingerichtet wurden, die den Tod beurkundeten, wenn es auch falsch war und der der Inhalt nicht stimmte und dass alle amtlich wären. Und die Generalstaatsanwälte hätten sagen können „So geht das nicht. Das ist Urkundenfälschung. Das geht nicht, das kann man nicht machen. Paragraf 211, der steht dagegen“. Da ist keiner aufgestanden. Da hätte man sagen können „So geht das nicht, das kann man nicht machen. Wir brauchen ein Gesetz“ und solche Geschichten. Und das war ja eindeutig, die wurden unterrichtet zu Stillschweigen und wurden aufgefordert, solche Akten, wenn da jemand protestierte und so weiter, die Akten nicht zu bearbeiten, sondern direkt ans Reichsjustizministerium weiterzuleiten. Und man hat auch beim Reichsjustizministerminister da keine Leute herausgefunden, die das dann gesammelt hätten oder irgendwie, was sie damit gemacht hätten. Das ist alles im Sande verlaufen gewesen. Und deswegen hat ja Bauer auch darauf bestanden, dass er ein Verfahren gegen die obersten Justizbeamten da eingeleitet wurde, das ja bekanntlich im Sande verlaufen war. Und zwar zum Teil auch daran, dass wir unglücklicherweise die Sache nach Limburg gegeben hatten, wo der Untersuchungsrichter ja ein Kapitel für sich war, der das jahrelang verschleppt hat. Und nichts weiter gemacht, weil der das nicht machen wollte. Auch gegen den Richter hat man nichts getan, gegen den Untersuchungsrichter gemacht, hätte man ja auch sagen können.

Moderatorin (25:30)

Ja, das ist auch eine bekannte Kritik von Bauer an Gerichte oder an die Beteiligten insgesamt, dass diese Taten bis ins Detail aufgeklärt werden sollen, was in dem Fall ja gar nicht möglich ist, weil es ja eine, man muss in Anführungszeichen sagen, „Endlösung“ war, dass man gar nicht das, was ja nicht im Gesetz vorgesehen war, was sie schon zu Beginn mal einleitend gesagt haben und das war ja das große Problem, was eben dann auch zu einem nicht befriedigenden Ergebnis geführt hat, weil Fritz Bauer kann ja am Ende mit dem Ergebnis nicht zufrieden gewesen sein.

Johannes Warlo (26:02)

Nein, da kann man nicht zufrieden sein. Vor allen Dingen zu seinen Lebzeiten ist das also das einzige Verfahren, das man zu einem vorläufigen Abschluss gekommen war, war das gegen die vier Ärzte und das endete ausgerechnet mit einem Freispruch. Und dann kam noch diese ganze Geschichte mit dem Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz, was die Verjährung da praktisch kaputtmachte, das kam dann noch später hinzu. Das war auch gerade so am Lebensende von Bauer. Es wollte damals niemand dran von oben auch nicht. Man darf auch nicht vergessen, Herr Globke war ja auch nicht gerade unbelastet, obwohl man ihn dann später dann doch ganz gern als die große Persönlichkeit dargestellt hätte, die das alles vereitelt hat. Das war nicht der Globke. Das waren andere Leute, die das vereitelt haben.

Moderatorin (26:47)

Wenn Sie einmal zurückblicken, was wäre denn heute anders, wenn man diese Prozesse heute führen würde?

Johannes Warlo (26:53)

Das sehen Sie ja an diesen letzten Prozessen gegen die noch übrig gebliebenen, über 90-jährigen KZ-Wächtern und heute kämen die nicht mehr so davon. Und es gibt auch kaum einen Gutachter, der den Mut haben würde, die Leute für verantwortungsunfähig zu erklären, obwohl sie eindeutig verhandlungsfähig sind. Also zum Beispiel den Demjanjuk, der nur noch im Krankenbett in den Prozesssaal geführt wurde. Das wäre für die damalige Zeit unmöglich gewesen. Wie gesagt, Ärzte konnten völlig ihre Praxis ausüben, aber deswegen waren sie noch lange nicht verhandlungsunfähig. Eigentlich müsste jeder Angst haben vor einem Mann, der an Mord mitgewirkt hat, da in die Behandlung zu gehen. Das hat niemanden gehindert und die haben auch keinen Mord so gemacht.  

Man darf allerdings auch eines nicht vergessen, mit der Kapitulation waren ja praktisch die Ämter bei uns, die Befugnisse der Ämter erloschen. Es gab keine Gerichtsbarkeit. Die Gerichtsbarkeit war ausschließlich, ich will nicht sagen, übergegangen auf alliierte Behörden, sondern die Besatzungsmächte haben sich die Gerichtsbarkeit und alles, was die Entscheidungshoheit genommen, weil es keine andere Wahl war. Und die Gerichte waren wieder aufgelöst und die konnten gar nicht arbeiten. Und die wurden eigentlich erst wieder später, als die Länder aufgebaut wurden, erst allmählich Stück um Stück weitergegeben. Und vor allen Dingen gab es dann immer der Vorbehalt der Alliierten, dass Verfahren, die sie zu Ende geführt hätten, das deutsche Gerichte sich nicht die Urteile oder diese Entscheidungen nicht revidieren konnten. Das ist ja erst viel später aufgehoben worden. Und damit fühlte sich die Justiz für diese Sachen damals gar nicht mehr zuständig, nicht wahr? Die einzelnen Verfahren, die in den 40er-Jahren noch stattfanden, das waren ganz bestimmte Verfahren. Wenige, die auch in der Bevölkerung bekannt waren. Ich denke an die sogenannten Euthanasieverfahren hier in Hessen. Ja, aber sonst ist da nichts passiert. Und die Zuständigkeit an Gerichte wurde erst großzügig verliehen, mehr oder weniger durch die Alliierten oder durch die einzelnen Besatzungsmächte an die einzelnen Gerichte.

 Und das ist wohl auch ein Grund, weshalb das also nicht irgendwie von Anfang an irgendwie zentral geleitet werden konnte. Und dann kam noch hinzu, die Aufteilung in einzelne Länder, die die Zuständigkeit hatten. Das war ja Länder Sache im Grunde genommen. Und da sind die Länder ganz verschieden da dran gegangen. Und vor allen Dingen der Vorbehalt der Besatzungsmächte, was die Justiz betraf, der hat da auch eine gewisse Rolle gespielt. Der damalige geschäftsführende Justizminister, der war ja noch Staatssekretär im Rank, Schlegelberger. Das war ja eigentlich ein Mitverantwortlicher für die ganze Geschichte und der ist auch derjenige, der die Unterrichtung der Generalstaatsanwälte und Oberlandesgerichtspräsidenten angeordnet hatte. Und der ist auch verurteilt worden, in Nürnberg irgendwie. Das Urteil ist nie vollstreckt worden und das ist dann wieder aufgehoben worden und so weiter. Aber wir konnten zunächst mal da nicht ran und es war ein großes Problem gegen den ein Verfahren einzuleiten. Letzten Endes ist es daran gescheitert, soviel ich weiß, ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass eine deutsche Gerichtsbarkeit gegen den nicht mehr möglich war, weil die Alliierten das Verfahren nicht weiterverfolgt hätten, und damit entsprach das einer endgültigen Einstellung des Verfahrens. Und da ist man an den Schlegelberger, den Verantwortlichen gar nicht juristisch rangekommen, auch der Bauer nicht. Auch dieses Verfahren in Limburg, dann gegen die Präsidenten und so weiter, der Schlegelberger war ausgenommen und ausgerechnet derjenige, der da am meisten wüsste.

Moderatorin (30:57)

Da kriegt der Begriff „Gerechtigkeit“ noch mal eine ganz andere Wirkung. Wenn Sie jetzt noch mal zurückschauen, damals, als Sie von Wiesbaden nach Frankfurt geholt wurden, haben Sie es jetzt nachträglich bereut, oder waren Sie dann doch relativ?

Johannes Warlo (31:12)

Ach Gott, darüber habe ich mir eigentlich nie Gedanken gemacht. Ich habe halt eine neue Aufgabe gehabt und dann habe ich mich halt mit denen… gemacht und sie war ja auch eigentlich interessant, die ganze Geschichte.

Moderatorin (31:22)

Ja am Ende ist ja damit irgendwo ein Stück Geschichte geschrieben worden.

Johannes Warlo (31:25)

Ich habe mich auf dieser Weise mit der Psychiatrie auseinandersetzen müssen, mit Irrenanstalten und der Gleichen. Das war auch interessant. Ich habe mit vielen Direktoren gesprochen, also ich hätte da allmählich auf diese Weise ein Studium der Psychiatrie absolvieren können.

Moderatorin (31:42)

Ja, Herr Warlo, wir könnten wahrscheinlich noch stundenlang weitersprechen, aber ich bedanke mich recht herzlich, dass das heute geklappt hat und dass sie uns diesen historischen Einblick gegeben haben. Wahnsinn, wie damals tatsächlich die Gerichtsbarkeit ausgelegt wurde und was sich alles noch verändert hat, im Vergleich zu heute.

Johannes Warlo (32:01)

Ja, dann könnte ich natürlich noch vieles sagen, auch über die Verwaltung bei uns und das Justizministerium und so weiter, wie weit die da hätten auch etwas machen müssen, aber das ist eine Frage für sich.

Moderatorin (32:11)

Das stimmt. Also, Herr Warlo, dann vielen Dank, alles Gute für Sie.

Johannes Warlo (32:15)

Ja, danke.