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Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat

Folge 12 - Justizvollzug in Hessen

Im Gespräch mit dem Leiter der Justizvollzugsanstalt Kassel I Jörg-Uwe Meister wird ein spannender Blick „hinter Gittern“ geworfen und das eine oder andere Klischee und deren Wahrheitsgehalt erörtert.

Adina Murrer
"Zeit für Justitia - der Justiztalk aus Hessen". Herzlich willkommen zu einer neuen Podcastfolge. In dieser habe ich mit Herrn Meister sprechen können. Herr Meister ist Anstaltsleiter in der Justizvollzugsanstalt Kassel I. Und wir haben gemeinsam einen Blick hinter Gittern werfen können und interessante Fragen geklärt, auch spannende Einblicke gewonnen. Was überhaupt die Inhaftierten für Möglichkeiten haben und natürlich mit diversen Knast-Klischees einmal aufgeräumt. Was ist wirklich dran, dass sich beispielsweise Inhaftierte tätowieren lassen? Also das typische Knasttattoo, gibt es das überhaupt? Diese und weitere Fragen werden in dieser Podcastfolge geklärt und ich wünsche viel Spaß beim Zuhören.

Hallo Herr Meister, schön, dass Sie sich heute die Zeit für uns genommen haben.

Jörg-Uwe Meister
Ja, ich freue mich auf das Interview und gebe gerne Auskunft.

Adina Murrer
Zunächst würde mich mal interessieren, wie denn Ihr Umfeld bzw. auch Freunde darauf reagieren, wenn Sie erfahren, dass Sie Anstaltsleiter in einer JVA sind.

Jörg-Uwe Meister
Manche sind erstaunt, andere schrecken manchmal sogar zurück, weil sie ganz eigene Vorstellungen von Gefängniswelt haben, oft geprägt durch Fernsehen, Filme, die dann auch etwas, naja, verzerrende Darstellungen präsentieren, aber immer auch sehr sehr interessiert.

Adina Murrer
Nun hat man als Außenstehender ja auch gleich gewisse Bilder und Assoziationen im Kopf, wenn man darüber nachdenkt. Und eines hat sich meines Erachtens ziemlich hartnäckig gehalten und eingeprägt, nämlich dass Insassen sich ein Tattoo stechen lassen. Ist das denn so oder ist das tatsächlich einfach nur ein Klischee?

Jörg-Uwe Meister
Eher nicht. Inhaftierte bringen oft Tatoos schon mit, um es so zu formulieren, in den Knast. Und im Vollzug selber Tattoos stechen – wir lassen das natürlich nicht zu. Das hat gesundheitliche Gefährdungen, über das Tattoo stechen können Krankheiten übertragen werden, Aids, beispielsweise, Hepatitis. Also da legen wir größten Wert drauf, dass so etwas nicht passiert. Und bestenfalls haben Gefangene schon mal selbst Gerätschaften gebastelt, die wir aber sofort einziehen, aber das ist schon selten der Fall, dass hier tatsächlich Tattoos gestochen werden. Insofern ist das eine gängige Meinung, die mit der Wirklichkeit nicht deckungsgleich ist.

Adina Murrer
Was ist mit dieser Gegenbehauptung? Einmal kriminell, immer kriminell? Ist das auch so?

Jörg-Uwe Meister
Nein. Aber viele Inhaftierte, auch bei uns in dem langen Strafvollzug, haben natürlich eine kriminelle Karriere genommen, die oft im Jugendalter begonnen hat. Insofern haben wir immer wieder auch eine doch recht hohe Anzahl von Gefangenen, die schon Vorstrafen absolviert haben. Aber es gibt natürlich auch den Ersttäter, der hier ins Gefängnis kommt und der nach seiner Haftentlassung auch straffrei bleibt.

Adina Murrer
Dann noch ein weiteres Klischee, was sich meines Erachtens ziemlich hartnäckig hält. Und zwar, dass die Gefangenen nur Wasser und Brot bekämen.

Jörg-Uwe Meister
Wasser und Brot gibt es natürlich. Das sind sozusagen Grundnahrungsmittel. Aber wenn Sie auf den Speiseplan sehen würden: Es ist ein absolut ausgewogener Speiseplan. Ich selber als Anstaltsleiter nehme auch die Gefangenenkost ein, gegen Bezahlung, versteht sich. Oder eine Kostprobe, dazu kann ich auch verpflichtet sein. Und der Speiseplan heute beispielsweise sieht leckeren Fisch vor.

Adina Murrer
Passend zum Freitag. Was meinen Sie? Haben die Gefangenen auch ein Lieblingsessen?

Jörg-Uwe Meister
Ja, gibt es schon. Also Mittwochs ist eigentlich der Nudel Tag, also Spaghetti Bolognese beispielsweise, verschiedene Nudeln mit verschiedener, sage ich mal, Beigabe. Das ist der besonders beliebte Tag und sicherlich auch am Wochenende, an hohen Feiertagen, wenn es leckere Fleischgerichte gibt, die es aber auch sonst in der Woche gibt. Insofern ist nicht das Wochenende für Fleischgerichte vorgesehen. Aber der Nudel Tag, das ist schon für die Gefangenen der besondere Tag und man stellt es auch bei den Bediensteten fest, sofern sie an der Mittagskost der Gefangenen teilnehmen, dass sie an dem Nudeltag in höherer Anzahl zum Essen gehen.

Adina Murrer
Das können sicherlich viele Kantinen auch außerhalb der Gefängniswände bestätigen. Über ein Thema würde ich noch gerne sprechen und zwar über Fluchtversuche. Es heißt, dass Fluchtversuche keine Straftaten sind.

Jörg-Uwe Meister
Fluchtversuch ist keine Straftat. So gilt das heute. In der Zeit des Nationalsozialismus war das noch ganz anders und meines Wissens auch in der DDR. Aber wenn bei einem Fluchtversuch jemand verletzt wird oder wenn etwas zerstört wird, dann mag das natürlich eigenständige Straftaten darstellen. Insofern werden natürlich die Straftaten auch verfolgt. Und im Übrigen: Fluchtversuche werden natürlich bei uns auch geahndet. Mit Disziplinarmaßnahmen und insbesondere mit besonderen Sicherungsmaßnahmen, d. h. wenn wir tatsächlich so einen Fall hätten, dass jemand einen Fluchtversuch unternommen hat, dann würden wir ihn in der Bewegungsfreiheiten, auch in der Beobachtung einschränken mit besonderen Sicherungsmaßnahmen, um Gewähr dafür zu tragen, dass ein weiterer Versuch gar nicht unternommen wird.

Adina Murrer
Wie oft kommt denn so ein Fluchtversuch vor?

Jörg-Uwe Meister
Ich bin jetzt seit rund 20 Jahren hier Anstaltsleiter und in der Zeit gab es keine gelungene Flucht. Es gab mal einen Fluchtversuch. Ich meine, es war im Dezember 2010. Den haben wir aber vereiteln können, frühzeitig und auch in den Jahren zuvor, ich meine, auch in den 90er Jahren gab es keinen Fluchtversuch. Von daher toi, toi, toi, ich klopf hier auf Holz, dass das auch weiter so sein möge.

Adina Murrer
Herr Meister, nun sind Sie schon seit 20 Jahren Anstaltsleiter der JVA Kassel I. Wie sind Sie denn dazu gekommen oder anders gefragt, wie wird man Leiter einer JVA?

Jörg-Uwe Meister
Ich bin 1990 in den Justizvollzug eingestiegen, mit einer Ausbildung, die eigentlich gar nicht dahin führt, wo ich heute bin. Ich habe evangelische Theologie studiert und abgeschlossen und nebenbei noch Latein und Altgriechisch studiert, also eigentlich die klassischen Fächer für nicht Anstaltsleiter werden. Hab damals auch viel in Erwachsenenbildung und Ausländererarbeit mich betätigt und ich habe mich 1990 dann im Vollzug beworben und im Grunde genommen ist der Weg in den Vollzug ja auch bestimmt gewesen durch meine Erfahrungen und Eindrücke, die ich von meinem Vater gefunden habe. Mein Vater war etwas über 20 Jahre im hessischen Landtag und war dort insbesondere im Unterausschuss Justizvollzug engagiert und er hat sich gerade auch für den allgemeinen Vollzugsdefizit für alle Beschäftigten, aber insbesondee für den allgemeinen Vollzugsdienst, also Funktionsgruppe in allen Vollzugsanstalten interessiert. Er hatte selber einen beruflichen Hintergrund aus dem mittleren Dienst, bevor er in den Landtag kam, war er Zollbeamter. Also er weiß, wie das Gehalt ist, wie die möglichen finanziellen Möglichkeiten, wirtschaftlichen Möglichkeiten eines Hauptsekretärs beispielsweise im Allgemeinen Vollzugsdienst sind und hat sich insofern sozusagen für eine Kollegenschaft engagiert und hat dort auch gute Erfolge in seiner politischen Arbeit erzielt.

Und wir haben uns oft unterhalten. Ich habe mich immer für seine Arbeit interessiert und er hat mir auch etwas erzählt aus seiner Arbeit. Und das war für mich dann auch zu dem Zeitpunkt, als ich mich entscheiden musste, soll der Weg in die Kirche gehen – das war für mich auch unglaublich, in den kirchlichen Dienst gehen. Hab da noch an der Uni eine zeitlang gearbeitet und da hab ich dann später entschieden, in den Justizvollzugsdienst zu gehen. Habe mich dort beworben, war zunächst einmal im Erziehungsdienst, so hieß es damals, eingesetzt, also pädagogischer Dienst.

Und ja, Anstaltsleiter bin ich erstmals geworden nach vier Jahren, damals in der JVA Fulda, die zweitkleinste hessische Vollzugsanstalt. Und von da aus ging es dann weiter. Drei Jahre später, in 1997, stellvertretender Anstaltsleiter in Weiterstadt und Anfang 2001 kam ich dann nach Kassel. Und die Anstalt hier selber hab ich dann im Juni 2001 übernommen.

Ja, wie wird man Anstaltsleiter? Normalerweise ist die Voraussetzung, beide juristische Examen absolviert zu haben. Es kann aber auch ein Psychologiestudium sein, dass insbesondere dann von Interesse ist, wenn eine Anstalt therapeutisch stark ausgerichtet ist. Die Anstaltsleitung der Nachbaranstalt beispielsweise wird von einer Psychologin geleitet. Es gibt auch manchmal sogenannte Überleitungen aus dem gehobenen Dienst in den höheren Dienst, also insofern auch, ja, geeignete Kandidaten und Kandidatinnen, die weder Psychologie studiert haben noch Jura studiert haben.

Grundsätzlich gilt allerdings, dass es drei Dinge braucht. Das ist meine Erfahrung, aber das gilt sicherlich auch für andere Lebensbereiche. Es muss Glück da sein, das heißt, man muss eine Lücke finden, in die man einsteigen kann. Also es muss etwas frei sein. Man muss auch Förderer haben, das heißt, da muss es jemanden geben, der auf einen aufmerksam wird und sagt, den Mann oder die Frau können wir für solch eine Funktion gebrauchen und eigene Leistung gehört auch dazu. Also eigentlich die Mischung von drei Komponenten. Aber das gilt sicherlich für viele Berufsfelder. Und so war das auch bei mir. Und bei mir war es so, ich hatte einen Anstaltsleiter in Frankfurt damals. Das war die erste Anstalt, in der ich angefangen habe im Justizvollzug, der mir sehr imponiert hat. Er war später stellvertretender Abteilungsleiter des Justizvollzugs im hessischen Justizministerium. Der hat mir imponiert durch seine Kreativität, durch seine rasche Auffassungsgabe und vor allen Dingen durch sein Vermögen, Kontakte zu knüpfen, Zugang zu Menschen zu finden. Und das war für mich auch ein Förderer, von dem, meine ich, habe ich vieles abgeguckt und den habe ich sehr geschätzt. Und insofern kamen diese drei Dinge zusammen und ein Vorbild, das ich auch im Vollzug hatte.

Adina Murrer
Spannend. Also ja, sehr interessanter Werdegang. Und Sie sind ja offensichtlich auch im Vollzug angekommen. Wenn man das so sagen kann. Ja, wenn Sie jetzt einmal zurückblicken in die Zeit, als Sie angefangen haben und diese mit der heutigen vergleichen, was hat sich in den knapp 20 Jahren Ihrer Ansicht nach verändert?

Jörg-Uwe Meister
Also wenn ich mal auf die 20 Jahre Kassel I zurückblicke: Natürlich war mein Bemühen zu Beginn meiner Zeit hier zunächst einmal Sicherheit zu gewinnen, mir einen Überblick zu verschaffen und die Menschen, mit denen ich eng zusammenarbeite, näher kennenzulernen. Wenn ich heute Bilanz ziehen und ein bisschen Dienstzeit habe ich noch vor mir, dann würde ich vor allen Dingen als Unterschied feststellen, dass die Atmosphäre hier freundlicher geworden ist, transparenter geworden ist, offener geworden ist. Die Hierarchien einer Justizvollzugsanstalt, ist auch eine hierarchisch geprägte Behörde, aber die Hierarchien sind flacher geworden. Wir merken, dass beispielsweise im Austausch untereinander, im Konferenzsystem, die Funktionsgruppen arbeiten enger zusammen. Ich habe das zu Beginn meiner Zeit hier noch so erlebt, dass der allgemeine Vollzugsdienst sich sozusagen im Unterbringungsbereich zuhause sah. Das ist natürlich, und das Verwaltungspersonal, ja, so ein bisschen davon abgekoppelt, schienen und meinen, sozusagen eigene Bereiche für sich definierte.

Heute ist das verzahnt. Wir erleben, dass sich Teams gebildet haben in den Unterbringungsbereichen, in denen wie wir sagen Flügeln, eine enge Verzahnung von Abteilungsleitung, also Verwaltungspersonal unter Einbindung der besonderen Fachdienste, insbesondere des Sozialdienstes, des psychologischen Dienstes und des pädagogischen Dienstes und die Zusammenarbeit der Abteilungsleitung mit der Bereichsleitung und die Bereichsleitung wird gestellt vom allgemeinen Vollzugsdienst, das ist eine Spitzenposition, jeweils die Chef-Position des allgemeinen Vollzugsdienstes in dem Flügel und die arbeiten eng zusammen. Das hat es zu Beginn meiner Amtszeit hier noch nicht gegeben und ich glaube auch, das ist auch in anderen Vollzugsanstalten so. Also es ist selbstverständlich geworden, dass sich Teams gebildet haben. Man sieht das beispielsweise auch an den Team Tagen, die in allen hessischen Vollzugsanstalten jedes Jahr stattfinden.

Adina Murrer
Was versteht man darunter?

Jörg-Uwe Meister
Dass man gemeinsam etwas unternimmt. Es hat zwar einen dienstlichen Bezug, aber insbesondere soll es die Bindung untereinander stärken, den Austausch, die Kollegialität. Und das ist eigentlich auch nur ein Ausdruck dieser Verzahnung, die sich in den Jahren ergeben hat. Auch die Transparenz über ein Konferenzsystem, die Kommunikation läuft offener. Und insofern sehe ich da schon einen deutlichen Fortschritt. Ich sehe auch, dass mehr Initiativen, mehr Zuwendung gegenüber dem Personal erfolgt, beispielsweise durch Personalentwicklung, Personalpflege, Gesundheitsmanagement, Einbeziehung des Medical Airport Service. Es gibt sogar Familienberatungsangebote außerhalb des Vollzugs. Es gibt verstärkt Fortbildungsangebote, die nicht nur auf Kenntnisse in der Alltagspraxis ausgerichtet sind, sondern auch auf Befindlichkeiten, auf - wie gehe ich um mit Konfliktsituationen beispielsweise, also nicht reine Wissensvermittlung, sondern Vermittlung von Fertigkeiten, von Erkennen von Problemen, aber auch Lösen von Problemen. Also eine Vielfalt von Angeboten, die in den letzten Jahrzehnten, letzten zwei Jahrzehnten eingesetzt hat und die stellt für mich schon einen deutlichen Unterschied dar zu der Zeit vorher.

Was auch anders geworden ist, und das ist Teil des Ganzen: die Instrumente einer Mitarbeiterbefragung, die mehrfach schon durchgeführt wurde im hessischen Vollzug und insbesondere das Instrument der Vorgesetztenbeurteilung, also Spitzenleute beurteilen meine Anstalt und mich und ich gebe diesen Beurteilern eine Rückmeldung, wie ich beurteilt wurde und das Gleiche gilt für Bereichsleiter und das Gleiche gilt für Abteilungsleiter, also für die verschiedenen Hierarchiestufen. Ein gutes Instrument zur Selbsteinschätzung und auch zur Widerspiegelung, wie man wahrgenommen wird, also auch ein Instrument der Führungskraftentwicklung. Und wir haben Mentoren, beispielsweise für Neueinsteiger in dem Beruf, wir haben Einweisungspläne für Berufsanfänger, die Büroausstattung ist besser geworden, also es hat sich doch vieles verändert.

Und was Gefangene angeht, so hat sich eins wesentlich verändert. Die Belegungsituation in den hessischen Vollzugsanstalt ist günstiger geworden. In den 90er Jahren gab es noch eine Überbelegungssituation mit der Folge, dass Hafträume ja gar nicht selten mit fünf oder sechs Gefangenen, manchmal sogar mit mehr Gefangenen belegt waren. Die Belegungssituation ist besser geworden. Wir haben durch Umstrukturierungen in den letzten Jahren im hessischen Justizvollzug Plätze freigemacht für Strafgefangene im geschlossenen Vollzug und im Grunde genommen die Kapazitäten den Gegebenheiten im Vollzug angepasst. Also auch, was beispielsweise die Anzahl der Gefangenen im so genannten geschlossenen Vollzug angeht und auf der anderen Seite die Anzahl der Gefangenen im sogenannten offenen Vollzug. Da wurde auf die Praxis reagiert, mit dem Erfolg, dass wir heute auch mit der Belegungssituation besser zurechtkommen.

Ein ganz wichtiger Schritt mit dem im Jahr 2010 in Kraft getretenen hessischen Strafvollzugsgesetz ist der, dass die maximale Belegfähigkeit eines Haftraumes auf drei Personen festgelegt wurde. Weniger Gefangene in einem Haftraum bedeutet weniger Stress unter den Gefangenen, weniger Stress bei den Gefangenen im Haftraum bedeutet auch weniger Stress für die Bediensteten. Das war eine ganz wichtige Maßnahme, die Hessen auch vorreitend, ich glaube, das ist nicht in allen Bundesländern der Fall, eine Maßnahme ergriffen hat und die auch Früchte getragen hat. Im Übrigen bei der gemeinschaftlichen Unterbringung von Gefangenen gilt immer, dass die gemeinschaftliche Unterbringung von den betroffenen Gefangenen auch akzeptiert sein muss, das heißt sie geben Einverständnis. Es gibt nur besondere Situationen, in denen davon auch mal abgewichen werden darf, dann aber auch nur für einen bestimmten Zeitraum. Aber wir kommen damit gut zurecht.

Die behandlerisch, therapeutischen Angebote wurden in den letzten Jahren allgemein im hessischen Vollzug erweitert. Die Besuchsform Skype ist beispielsweise dazugekommen, Stationstelefone gibt es, Ausbildungsangebote wurden erweitert. Wir selber haben hier auch Ausbildungslehrgänge für Tischler, Fahrradmonteure und Bäcker. Wir haben einen ganz engen Ausbildungsverbund mit der Nachbaranstalt. Da gibt es den Schweißerbrief, es

gibt Grundlehrgänge in Farben, Holz, Metall, es gibt einen Gabelstaplerfahrschule, es gibt eine Gebäudereinigerausbildung. Das sind Maßnahmen, die die Nachbaranstalt anbietet.

Wir sind allerdings im engen Austausch mit der Nachbaranstalt, das heißt, die Gefangenen von der Kassel I gehen beispielsweise zur Ausbildung in die Kassel II und umgekehrt: Gefangene von der Kassel II gehen in die Ausbildung oder in die Beschäftigung in den Eigen- oder Unternehmerbetrieben in der Kassel II, also ein ganz enger Verbund. Im Übrigen ist diese Situation der beiden Kassler Anstalten in Hessen auch eine einmalige. Also zwei Anstalten, die einen gemeinsamen Arbeitsbereich haben bzw. einen Werkhof haben, der von Gefangenen beider Anstalten beschickt wird, das haben wir nirgendwo in Hessen. Also insofern arbeiten wir auch ganz eng zusammen. Und das trägt natürlich für beide Anstalten Früchte und ist für beide Anstalten lohnend.

Adina Murrer
Sie haben bereits schon einige Ausbildungsmöglichkeiten genannt. Können denn die Gefangenen auch in den Justizvollzugsanstalten arbeiten und sich auch beruflich weiterbilden? Also sprich auch berufliche Ausbildungen absolvieren?

Jörg-Uwe Meister
Es gibt natürlich – noch kurz zu den beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten. Es gibt viele weitere Ausbildungsmöglichkeiten im hessischen Vollzug, die dann allerdings auch immer in anderen Anstalten angeboten werden, nicht jede Anstalt kann nachvollziehbar die ganze Palette für sich allein anbieten. Also in Schwalmstadt wird beispielsweise der Koch ausgebildet, in Darmstadt gibt es viele andere Ausbildungsbereiche, Butzbach bildet auch Tischlergesellen aus wie wir und je nach Vollzugsplanung für den Gefangenen individuell kann mit angepeilter Ausbildung auch der Wechsel von Vollzugsanstalt zu Vollzugsanstalt verbunden sein.

Wir haben aber ansonsten natürlich Eigenbetriebe, beispielsweise eine große Schreinerei. Zusammen mit Butzbacher Schreinerei stellen wir das gesamte Mobiliar für die hessische Justiz her. Aber auch für andere Auftraggeber, beispielsweise für Schulen. Hier in Kassel beispielsweise haben wir das Schulamt komplett eingerichtet. Da sind wir sehr gefragt. Auch die Landesvertretung des Landes Hessen in Brüssel haben wir eingerichtet, ebenso die Landesvertretung in Berlin. Und da haben wir sehr gute Rückmeldungen bekommen. Also Schreinerei beispielsweise, wir haben eine große Schlosserei, wir haben einen Maurerbetrieb, also vielfältige Betriebe, in denen Arbeitsplätze für die Gefangenen angeboten werden und wir haben auch sogenannte Unternehmerbetriebe, das gilt auch für andere Anstalten. Das heißt, externe Firmen vergeben Aufträge an die Anstalt und das ist auch wichtig, weil wir davon profitieren, was Einnahmen angeht. Und vor allen Dingen haben wir auch Beschäftigung, sinnvolle Beschäftigung für Gefangene und Gefangene sind natürlich daran interessiert, im Vollzug arbeiten zu können, um die Zeit sinnvoll zu füllen und um auch Geld zu verdienen, das sie hier zum Teil ja auch dann als sogenanntes Hausgeld ausgeben können, beim Einkauf, zusätzlich zu den Dingen, die sie ohnehin in der Anstalt bekommen.

Adina Murrer
Und wie verhält es sich mit schulischen Weiterbildungsmaßnahmen? Sprich, können die Gefangenen auch Schulabschlüsse nachholen oder gar studieren?

Jörg-Uwe Meister
Natürlich gibt es angepasst auf den durchschnittlichen Stand, von den Inhaftierten. Oft fehlt eine abgeschlossene Schulausbildung, zuweilen auch der Abschluss der Hauptschule. Die Hauptschulausbildung kann in verschiedenen Anstalten nachgeholt werden, also der Abschluss. Es ist sogar möglich und das hat es auch schon gegeben, dass jemand ein Hochschulstudium über die Fernuni im Vollzug absolvieren oder abschließen kann, auch dafür gibt es Beispiele. Aber der größte Bedarf ist eher in dem Bereich Hauptschulabschluss. Und da gibt es also diese Möglichkeit in verschiedenen Anstalten, das nachzuholen.

Ansonsten gibt es natürlich auch Ausbildungen, die kompakter sind. Deutsch als Fremdsprache beispielsweise oder Alphabetisierungskurse auch. Das gibt es, also kleinere Einheiten, die nicht auf einen schulischen Abschluss hinauslaufen, sondern einfach auf Erwerb von Kenntnissen, die hier in der Haft von großem Vorteil sind oder auch für den Verbleib in Deutschland - Deutschkenntnisse, um sich zu integrieren.

Adina Murrer
Also die intellektuellen Möglichkeiten sind also vielseitig gegeben. Gibt es denn auch den körperlichen Ausgleich, also sprich Sportmöglichkeiten?

Jörg-Uwe Meister
Also bei uns, natürlich im Außensport, Fußball, Handball, Tischtennis.Und es gibt natürlich auch die Fitnesseinrichtungen, die genutzt werden können. Das sind so die wesentlichen Angebote, die wir hier haben. Wir haben auch eine Handball Mannschaft, die in einer Liga spielt, also mit Mannschaften zusammentrifft, die draußen ihre Punktespiele machen. Unsere Mannschaft hat natürlich nur Heimspiele in der Sporthalle der Nachbaranstalt. Wir haben auch eine Schachgruppe, die auch im Verband spielt und ähnliches gilt auch für die anderen Anstalten.

Es gibt immer wieder auch im Sommer insbesondere eine Sportwoche und in den Zeiten, in denen auch externe Mannschaften reinkommen können, nach entsprechender Prüfung, gibt es Fußballturniere mit externen Mannschaften, es gibt Laufwettbewerbe, also ganz unterschiedliche sportliche Angebote, sehr breit gestreut durch alle Vollzugsanstalt hindurch.

Adina Murrer
In einem Gespräch hat sich bisher gezeigt, dass versucht wird, das Leben innerhalb der JVA so normal wie möglich zu gestalten. Also sprich mit Ausbildungsmöglichkeiten, mit Berufsfördermaßnahmen, aber auch mit sportlichen Aktivitäten. Was sind aber Ihrer Ansicht

nach jetzt tatsächlich grundlegende Unterschiede? Also sprich was dürfen Gefangene innerhalb einer JVA nicht, was außerhalb eines Gefängnisses aber möglich wäre?

Jörg-Uwe Meister
Alltagsdinge, die für uns selbstverständlich sind, dürfen Gefangene aus Gründen der Sicherheit nicht haben, beispielsweise Streichhölzer. Der Abtrieb könnte genutzt werden, um daraus explosive Mischung zu machen. Genauso Mehl beispielsweise, auch das könnte dazu verwendet werden. Also darf auch der Gefangene Mehl nicht haben oder einen Hefewürfel, auch den darf der Gefangene nicht haben, denn den könnte er verwenden, um Alkohol anzusetzen, also Alkohol herzustellen. Er könnte das Obst beispielsweise, das er über den Einkauf zusätzlich bekommen darf, versetzen, mit dem Teig, mit der Hefe und dann ein Gärungsprozess in Gang setzen in irgendeinem Behältnis, das im Hauptraum ist.

Wir sind natürlich darauf ausgerichtet, dass wir die Hafträume ordentlich kontrollieren, aber wenn wir solch eine Flasche finden würden, dann würden wir schon, sage ich mir, natürlich entsprechend reagieren und das Ganze herausziehen. Im Übrigen gilt auch bei uns im Gefängnis: Gefangene dürfen nur klare Getränke haben, also keine Cola. Beispielsweise, weil man dann natürlich nicht erkennen kann, was ist in der Flasche drinnen. Also klares Mineralwasser kann man beispielsweise haben und über den Einkauf beziehen. Auch Feuerzeuge werden nicht ausgegeben an Inhaftierte, die beispielsweise schon mal aufgefallen sind durch Brandstiftung als Straftat oder die einen Brand im Gefängnis gelegt haben, selbstverständlich nicht. Und was dürfen Gefangene auch nicht haben? Was für uns selbstverständlich ist? Ein Smartphone. Sie dürfen keinen Kontakt aufnehmen können mit dem Smartphone über Internet, auch bestimmte Playstationausführungsmodelle dürfen sie nicht haben, weil rein theoretisch damit auch Kontakt in das Internet gekoppelt werden könnte. Die Playstation 4 beispielsweise ist im Vollzug bei uns jedenfalls, und ich meine auch in anderen hessischen Vollzugsanstalten, nicht gestattet, weil das nämlich technisch möglich wäre und Gefangene sind manchmal sehr erfindungsreich.

Also Gefangene dürfen nicht haben: legale Droge, Alkohol, illegale Drogen natürlich ohnehin nicht, also Betäubungsmittel und beispielsweise auch, was vielleicht überrascht: Pfeffer. Dürfen sie auch nicht haben. Natürlich wird in der Küche Pfeffer den Speisen zugesetzt, aber Pfeffer als Inhalt, Tüte oder im Döschen im Haftraum, no go. Denn Pfeffer könnte verwendet werden von einem Gefangenen, um einem Bedienstetem ins Gesicht zu blasen, in die Augen, und damit wäre er erst einmal handlungsunfähig. Also da sind schon so einige Dinge, die sich im Gefängnis anders darstellen und unterscheiden von dem, was draußen möglich ist und draußen auch selbstverständlich und gängig ist.

Adina Murrer
Ich würde nun auch noch gerne auf die aktuellen Herausforderungen zu sprechen kommen, die die Corona Pandemie mit sich bringt. Und natürlich Sie, Herr Meister, fragen, wie Sie als Anstaltsleiter darauf reagiert haben, als Sie dann wussten, es wird auch tatsächlich ein Problem innerhalb der JVA und was hat sich denn diesbezüglich verändert? Wie sind Sie damit umgegangen? Wurden neue Maßnahmen, neue Regeln beschlossen?

Jörg-Uwe Meister
Zunächst einmal was die Seite der Gefangenen betrifft, wir haben einen absoluten Lockdown. Ende März, Anfang April, als die Corona Krise ihren Anfang nahm, verhängt. Das heißt, im Grunde genommen wurden alle Dinge, die nach außen gerichtet sind, gestoppt. Das heißt beispielsweise der Besuch der Gefangenen wurde zunächst einmal ausgesetzt, wir haben keine externen Besucher hineingelassen. Das einzige, was wir natürlich machen müssen, wir haben Anwälte reingelassen, weil das natürlich sichergestellt sein muss. Aber der normale Besucherverkehr wurde ausgesetzt. Die Arbeitsbetriebe haben zunächst einmal die Arbeit eingestellt. Der Lieferverkehr in die Arbeitsbetriebe war davon natürlich auch betroffen. Und wir haben dann natürlich versucht, auch Ausgleiche zu schaffen, z.B. den Besuch dadurch zu ersetzen, dass wir Skype-Telefonie-Möglichkeiten eingerichtet haben, die auch gut angenommen worden sind. Also totaler Lockdown zunächst mal gegenüber den Gefangenen. Und das Geschäft für die Bediensteten muss natürlich weitergehen, der Dienstbetrieb muss sichergestellt sein. Da haben wir die ganzen Hygienepläne auf die allgemein geltenden Regelungen auch eingestellt.

Mund-Nasen-Schutz, Flüssigkeitsdesinfektion beim Reingehen beispielsweise. Auch bei Anwälten, die in die Anstalt kommen mussten, haben wir immer auch eine Befragung durchgeführt. Kommen Sie aus einem Risiko-Gebiet, haben Sie an sich selbst Erkältungssymptome festgestellt, die möglicherweise auf einen Corona-Infizierung zurückgehen. Also an vielen, vielen Stellen die Hygiene-Maßnahmen, fragen nach Herkunft, Kontaktmöglichkeiten, Reiseverhalten beispielsweise, und das haben wir für alle Bediensteten so getan und für Gefangene haben wir natürlich auch darauf geachtet, dass Abstand gehalten wird.

Es ist zum Glück in der Anfangszeit eingedampft worden auf im Hauptraum bleiben und den Hofgang, also die Freistunden machen. Aber Arbeit war zunächst einmal ausgesetzt, auch die schulischen Maßnahmen, auch die beruflichen Ausbildungsmaßnahmen waren zunächst mal ausgesetzt. Allerdings haben wir dann auch peu à peu, wie landesweit auch, Ende Mai hat es eigentlich begonnen, in den Juni hinein auch langsam die Schrauben wieder lockern können und haben das bisher auch erfolgreich gemacht. Ich habe auch erlebt, dass die Gefangenen sehr, sehr verantwortungsbewusst damit umgehen, sehr umsichtig und wir hatten keine Unruhen unter den Gefangenen. Die Gefangenen wurden auch von mir und auch von den Mitarbeitern regelmäßig informiert. Mit der Interessenvertretung der Gefangenen, die wir hier haben, habe ich wöchentlich gesprochen und sie immer auf dem Laufenden gehalten. Auch die Bediensteten habe ich auf dem Laufenden gehalten, auch mit kurzen Ansprachen oder natürlich auch per E-Mail-Verkehr. Von daher kann ich sagen, dass sowohl die Gefangenen als auch natürlich die Bediensteten sich sehr aufmerksam, umsichtig verhalten haben. Wir haben unter den Gefangenen tatsächlich, und da klopfe ich auf Holz, nicht einen positiven Corona infizierten Fall gehabt und das hat damit zu tun, dass die Bediensteten sehr achtsam mit den Vorgaben umgehen und dass die Gefangenen das auch tun.

Adina Murrer
Herr Meister, vielen Dank für den interessanten Blick hinter Gittern.

Jörg-Uwe Meister
Gern geschehen!

Adina Murrer
Und vielen Dank auch an alle, die wieder eingeschaltet haben. Ich freue mich auf das nächste Mal, wenn es wieder heißt "Zeit für Justitia - der Justiztalk aus Hessen".