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Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat

Folge 16 - Internetstaatsanwälte im Einsatz – Ein Gespräch mit Andreas May

Andreas May ist Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) in Frankfurt am Main.

Adina Murrer
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Podcastfolge. In dieser ist Andreas May, der Leitende Oberstaatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, unser Gast. Herr May ist Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität. Kurz gesagt der ZIT und wir haben bereits in diversen anderen Podcast Gesprächen über die Arbeit der ZIT gesprochen und wollen es uns natürlich nicht nehmen lassen, auch mit den Verantwortlichen selbst zu sprechen. Im Gespräch mit Herrn May haben wir über die Aufgaben der ZIT gesprochen, wie die sogenannten Internet Staatsanwälte im Darknet ermitteln, wie die Zerschlagung der Emotet Schadsoftware gelungen ist und was sich für die Strafverfolgungsbehörden ändern müsste, um noch effektiver vorzugehen.

Ich wünsche Ihnen und euch viel Spaß beim Zuhören. Hallo Herr May, wie geht es Ihnen nach Ihrer Quarantäne Session?

Andreas May
Da geht es wieder besser. Ich hatte ja das zweifelhafte Vergnügen nach einem Auslandsaufenthalt in der Ukraine, einem Auslandsaufenthalt des Verfahrensbezug aufgewiesen hat - ja, wir werden uns ja wahrscheinlich über dieses Verfahren noch näher unterhalten - leider Covid positiv getestet worden zu sein. Und ja, die letzten beiden Wochen habe ich in Quarantäne verbracht, bin aber jetzt wieder auf dem Weg der Besserung.

Adina Murrer
Sehr gut. Und sie konnten von Zuhause aus genauso gut arbeiten wie im Büro?

Andreas May
Ja, das Homeoffice ist in unserer Zentralstelle ja üblich. Wir haben sehr schnell schon umgestellt in Covid Zeiten und sind komplett Homeoffice-fähig.

Adina Murrer
Sehr gut. Dann steigen wir auch direkt ein. Die ZIT hat im vergangenen Jahr ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert. Und wenn Sie jetzt einmal zurückblicken: Was ist Ihr Eindruck? Inwiefern hat sich die Arbeit innerhalb des Teams aber auch mit behördlichen Schnittstellen in diesem Zeitraum verändert?

Andreas May
Ja, aus meiner Sicht ist kaum noch etwas stehengeblieben, wie es wie es früher war. Wir waren ja so eine Art Pilotprojekt zu zweit. Jeder musste alles machen. Wir hatten praktisch keinen Unterbau. Es gab kein Sekretariat, keine Wachtmeister, keine IT-Forensiker. Wir waren so eine Stelle, wo man mal geschaut hat: Funktioniert das Ganze? Braucht man sowas überhaupt? Und wie entwickelt sich das? Ja, und wie sich es dann entwickelt hat, das muss man sagen, auch aus meiner Sicht, so retrospektiv nach 10 Jahren, sensationell. Wir sind immer größer und größer geworden. Wir haben unseren Zuständigkeitsbereich ständig

ausgeweitet, ständig verändert. Und das ist das Spannende an dieser Zentralstelle. Wir sind kein sehr statisches Gebilde. Wir sind hoch dynamisch. Wir ändern sozusagen unsere Struktur mit den Anforderungen, die an uns gestellt werden. Und das ist auch der Grund, wieso die Arbeit hier in diesem Bereich für mich noch so hochspannend ist.

Adina Murrer
Wenn Sie sagen, Sie haben mit zwei Mitarbeitern oder zu zweit angefangen, wie viel sind Sie mittlerweile?

Andreas May
Mittlerweile sind wir - wir haben noch nicht alle Stellen besetzt, wir sind drauf und dran, auch die restlichen Stellen zu besetzen - wir sind 13 Staatsanwälte, aber auch ein großer Unterbau von 8 Sekretariatsmitarbeitern. Wir haben eine IT-Forensikerin, die bei uns beschäftigt ist. Wir haben einen eigenen Wachtmeister. Das heißt, wir sind ja so eine kleine eigenständige Truppe geworden, wie eine kleine Behörde.

Adina Murrer
Und die ZIT gilt ja unter anderem als Ansprechpartner für das Bundeskriminalamt, insbesondere hier natürlich für die Internet Straftaten und als operative Zentralstelle bearbeitet die ZIT besonders umfangreiche und aufwändige Ermittlungsverfahren aus Deliktsbereichen wie der Kinderpornografie, Darknet-Kriminalität und Cyberkriminalität. Wenn man jetzt diese aufgezählten Bereiche hört, ordnet man die, ich sage jetzt mal, einer dunklen Seite zu und man hat mit diesen Themen wahrscheinlich eher weniger im Alltag zu tun. Man kann vielleicht hier von einer Parallelwelt sogar sprechen. Wie ist es, in dieser zu arbeiten?

Andreas May
Ich glaube, das ist sehr unterschiedlich. Die Anforderungen an die einzelnen Mitarbeiter sind, je nachdem, in welchem Bereich sie tätig sind, völlig unterschiedlich. Wie bereits gesagt, wir ändern ständig unseren Zuständigkeitszuschnitt. Als jüngstes Kind ist der Bereich Hate Speech hinzugekommen. Ein Thema, das bis vor wenigen Jahren noch gar nicht so sehr auf unserem Schirm war. Wir in Hessen sind ja besonders leidvoll davon betroffen. Gerade im Zusammenhang mit der Ermordung von Dr. Lübcke. Wir haben uns diesem Kriminalitätsfeld zugewandt, das ist für uns auch eine relativ neue Tätigkeit wir sind hier dabei auch wieder in ganz enger Abstimmung mit dem BKA, uns auszurichten diese Verfolgung möglichst effektiv zu gewährleisten.

Und das macht durchaus relativ große Probleme, weil es natürlich Massen-Kriminalität ist, die bewältigt werden muss. Es gibt andere Deliktsbereiche, da spielt Massen-Kriminalität nicht die ganz große Rolle, wie beispielsweise bei der Verfolgung von Cybercrime im engeren Sinne. Da sind es oft hoch technische Dinge, die uns umtreiben. Da muss man erst einmal verstehen, wie die Täter agieren und muss versuchen, das Ganze dann A) zu ermitteln und B) auch rechtlich zu verorten. Das ist auch sicherlich nicht immer einfach. Besonders belastend für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist natürlich der Bereich sexueller Missbrauch von Kindern, Bekämpfung der Kinderpornografie.

Das war von Anfang an eigentlich eine Art Steckenpferd von uns, da haben wir unser Augenmerk darauf gerichtet. Auch da ist eine ganz, ganz enge Zusammenarbeit mit dem BKA über viele Jahre hinweg gewachsen und die Anzahl an Ermittlungsverfahren ist stetig gestiegen in diesem Segment. Ja, und der vierte Bereich ist auch ein Bereich, der noch nicht sehr alt ist. Wir haben uns relativ frühzeitig schon der Darknet-Kriminalität zugewendet.

Hier sehen wir, dass im Prinzip eine Verlagerung ganz normaler Kriminalität, also Waffenkriminalität, Drogenkriminalität, gefälschte Ausweise, sich verlagert hat in großem Stil in eben diese Parallelwelt Darknet, in der es ebenfalls sehr, sehr schwer ist, erfolgreich zu ermitteln. Ja, wir haben da immer wieder neue Wege beschritten, um da letztendlich auch erfolgreich sein zu können.

Adina Murrer
Nun haben Sie es schon angesprochen: Im Darknet wird unter anderem Drogen- und Waffenkriminalität bekämpft. Hat sich die Szene, sag ich jetzt einfach mal, im Zeitraum ihrer Ermittlungen verändert?

Andreas May
Sie ist viel professioneller geworden. Man muss dazu sagen, was diese Internet Ermittlungen oder auch die Internetkriminalität massiv unterscheidet von Ermittlungen in der realen Welt ist, dass wir ein Phänomen sehen, das wir bislang so in dieser Form nicht kannten: nämlich das Phänomen des Crime as a Service. Das heißt, sie brauchen heute, auch wenn sie in diese Welt eintauchen, als Krimineller, weder über das Knowhow zu verfügen, über das technische Knowhow zu verfügen solche Straftaten zu begehen, noch über die Infrastruktur.

Sie werden für jede Form von Kriminalität Dienstleister zur Verfügung stellen, die ihnen teilweise sehr, sehr kleinteilig alles zur Verfügung stellen, was sie ja brauchen. Was sie benötigen, um letztendlich ja in ihrem Deliktsfeld erfolgreich zu sein. Und das ist ein ganz, ganz großer Unterschied. Das heißt, wenn Sie etwas Geld in die Hand nehmen und die richtigen Dienstleister finden, dann werden Sie möglicherweise sehr gut geschützt vor Strafverfolgungsbehörden ihrer Betätigung nachgehen können. Das heißt, die Serie ist einfach professioneller geworden.

Adina Murrer
Nun funktioniert das Darknet ja nicht so, dass ich WWW Punkt Darknet Punkte eingebe, sondern es baut natürlich auf Anonymität auf. Wie gelingt es Ihnen trotzdem, tatsächlich auch Ermittlungserfolge zu erzielen und die Täter zu fassen?

Andreas May
Ja, immer ein bisschen schwierig zu beantworten, alles zu verraten, was wir so draufhaben, gerade in der Öffentlichkeit. Ich kann vielleicht generell eines dazu sagen: Mir ist das immer sehr wichtig, sehr junge, innovative Kräfte in meiner Einheit zu haben, die auch mal ganz neue Wege gehen. Ich gebe mal ein Beispiel. Wir haben, das war noch vor Darknet Zeiten, mit einem ähnlichen Phänomen zu kämpfen gehabt. Das war Verschleierungen mittels Proxy-Servern oder VPN Diensten, also Verschleierung der IP-Adressen, was das Darknet sozusagen selbsttätig macht.

Hier haben wir beispielsweise mal tatsächlich ein kriminelles Forum lokalisieren können und auch dann erworben, um es weiter zu betreiben. Technik in dieses Forum einzubringen und durch den Weiterbetrieb mit Einsatz dieser Technik letztendlich dafür zu sorgen, dass wir Klar-IP-Adressen hatten, sodass wir dann eine ganze Reihe von Kriminellen auf diesem Forum ermitteln konnten. Ein völlig neuer Ermittlungsansatz, die Übernahme und der Weiterbetrieb eines kriminellen Forums. Das ist an ganz enge rechtliche Voraussetzungen geknüpft. Es ist hoch personalintensiv gewesen, diese Maßnahme.

Aber diese diese Piloten, neue Dinge zu machen, das ist das, was glaube ich hoch reizvoll ist. Und das ist auch hoch reizvoll für die jungen Kollegen, immer wieder neue Dinge auszuprobieren und zu versuchen, ob man das technisch möglich und rechtlich zulässig dann umsetzen kann. Und das ist uns in den letzten Jahren natürlich auch mit Hilfe der Expertise des Bundeskriminalamtes immer wieder gelungen.

Adina Murrer
Nun passt meine nächste Frage ganz gut dazu. Nämlich, neue Dinge. Und zwar nehmen ja auch die Messenger-Dienste immer mehr zu und geraten auch in ein negatives Licht. Inwiefern glauben Sie, dass gerade die Chats in Zukunft eine Rolle spielen werden, auch bei Ihren Ermittlungsverfahren?

Andreas May
Ja, die spielen schon eine große Rolle, das muss man ehrlich sagen. Wir haben zunehmend festgestellt in letzter Zeit, dass kriminelle Foren, große kriminelle Plattformen auch im Darknet schließen und der Trend zu sehen ist, dass man sich Messenger-Diensten zuwendet. Wir haben auch schon relativ erfolgreich Verfahren in diesen Messenger-Diensten geführt. Das macht es natürlich für uns fast ein wenig schwieriger, aber es gibt natürlich eine nahezu unerschöpfliche Anzahl verschiedener Messenger, die genutzt werden können.

Die Messenger sind durchgängig Ende-zu-Ende verschlüsselt. Das heißt, eine klassische Überwachungsmaßnahme ist in dieser Form nicht möglich. Und auch dieses Feld wird uns noch vor ganz enorme Herausforderungen stellen.

Adina Murrer
Muss man hier vielleicht auch an die Unternehmen herantreten, um da was zu ändern oder wie kann man das Problem lösen?

Andreas May
Naja, das ist ein sehr, sehr sensibler Bereich. Das muss man ehrlich sagen. Es gibt ja immer wieder diese Diskussion um die staatliche Backdoor, wie man gerne sagt. Also den Zugriff von Ländern direkt in die Messenger-Dienste, in die Server der Messenger-Dienste hinein. Ich glaube, das ist etwas, was wir gar nicht wollen. So eine Komplettüberwachung. Das kann niemals im Sinne von Strafverfolgungsbehörden sein. Aber punktuell möglicherweise Zugriff zu erhalten mit richterlichen Anordnungen unter gewissen Voraussetzungen, das wäre sicherlich natürlich sehr hilfreich.

Adina Murrer
Nun haben Sie es zu Beginn schon angesprochen. Sie waren in der Ukraine unterwegs und im Rahmen eines, ich sag jetzt mal, weiteren Ermittlungserfolgs der ZIT, nämlich die Zerschlagung der Schadsoftware Emotet. Vielleicht können Sie uns hier einmal mit auf die Reise nehmen und einmal sagen, wie das gelungen ist und vor allem, warum denn Emotet tatsächlich so gefährlich ist.

Andreas May
Ja, es ist gelungen. Mit einer unglaublichen Hartnäckigkeit, auch einer unglaublichen Hartnäckigkeit vor allen Dingen der Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes, die dieses Verfahren polizeilicherseits geführt haben. Man muss sich das so vorstellen: Die Emotet-Infrastruktur war hochkomplex, verteilt über Hunderte von Servern weltweit und mit Abertausenden von infizierten Systemen, die betroffen waren. Unser Verfahren beginnt im Prinzip eigentlich relativ einfach. Wir haben Hinweis auf ein winziges Stück dieses Netzwerkes, einem betroffenen Server in Deutschland. Wir analysieren diesen Server, wir stellen die Daten sicher.

Und jetzt hangeln wir uns sozusagen über lange Zeiträume hinweg durch dieses Netzwerk. Und zwar im Prinzip weltweit. Das heißt, wir stellen Inhalte sicher von Servern, im Prinzip weltweit, analysieren wohin funken diese Server und wir stellen fest, das ist ein sehr, sehr komplexes System. Wir nennen das ein kaskadierendes System von Verschleierungsservern. Es gibt verschiedene Verschleierungensebenen, sogenannte Tiers, Tier 1, Tier 2, Tier 3 Ebenen.

Und jetzt muss man sich mühsam, mühsam, mühsam sozusagen durch dieses Netzwerk graben, weltweit, um irgendwann mal vielleicht mit viel Glück einen Klarnamen zu bekommen. Und das ist uns gelungen. Ja, es ist unser Beschuldigter, in der Ukraine gewesen und wir waren uns sehr, sehr sicher, dass er Zugriff hatte auf eine offene, sehr hohe Ebene dieser Server. Also eine Ebene, die uns dann ermöglichte, letztendlich eigene Technik zu verteilen.

Wobei man da sagen muss, im Prinzip hat das Ganze funktioniert wie ein Update. Ein Update an der Basis Version dieses Trojaner. Das klingt jetzt sehr sehr harmlos. Im Prinzip ist es auch hoffentlich so harmlos gewesen, denn die betroffenen Systeme weltweit konnten dieses Update ziehen, zogen dieses Update und um es vielleicht sehr untechnisch auszudrücken: Dieses Update hat nichts anderes gemacht, als eine Weiche umzustellen. In dem Trojaner ist sozusagen eine Liste integriert, zu welchen Systemen dieses betroffene System funkt. Man kann sich das vorstellen wie so eine IP-Adressen Liste 1, 2, 3, 4 und dann gucken wir immer, welcher Server ist gerade verfügbar und gibt mir weitere Befehle. Und diese Weiche, ja, hier funke bitte zu Server 1, 2, 3, 4 wurde umprogrammiert. Funke jetzt zu Servern 5, 6, 7, 8. Und diese Server sind allesamt sauber von uns. Das heißt, wir haben diese betroffenen Systeme  haben sie sozusagen in eine Quarantäne verschoben. Und damit letztendlich dieses Netzwerk auch zerstört.

Adina Murrer
Spannend, und das ist jetzt sozusagen der Erfolg von Deutschland ausgehend und man kann jetzt auch wirklich beruhigt sagen, dass weltweit dieses System zerschlagen wurde und dass nicht irgendwelche Lücken genutzt wurden, um alternative Wege zu finden? Aber gut. Sicher ist wahrscheinlich nichts, oder?

Andreas May
Eigentlich ist das Ganze – ist es ganz einfach. Der Trojaner ist natürlich noch da, Emotet gibt es noch, aber das Botnetz ist zerschlagen und das Botnetz ist die Infrastruktur, um ganz, ganz viele, völlig unterschiedliche Straftaten zu begehen. Emotet ist im Prinzip so eine Art Türöffner. So eine Art Downloader. Der macht eine Tür auf. Das heißt, das betroffene System ist ja mal, um es ein bisschen flapsig auszudrücken, offen wie ein Scheunentor und alles was danach passiert, ist im Prinzip in der Hand der Täter.

Das heißt, man kann andere Trojaner, wie beispielsweise hier, was standardmäßig wurde, mehr oder weniger automatisiert, TrickBot nachgeladen. TrickBot ist ein Grabber, der liest das ganze System aus der Cloud oder entzieht der Cloud die ganzen Passwörter. Im Prinzip werden sämtliche digitalen Identitäten, also alles, was sie an Diensten nutzen, inklusive der zugehörigen Passwörter ausgelesen. Händisch wurde dann häufig noch Rike nachgeladen.

Rike ist eine ganz boshafte Verschlüsselungs- und Erpressungssoftware. Das heißt, System wird verschlüsselt und dann werden Sie erpresst, einen gewissen Betrag in einer Kryptowährung zu bezahlen, damit Ihr System wieder geöffnet wird. Aber es hätte beispielsweise auch die Möglichkeit bestanden, schlicht und einfach alle Systeme voll zu verschlüsseln und einfach abzuschalten, wenn man sich vorstellt, dass diese Systeme weltweit, diese Server weltweit, die davon betroffen waren, möglicherweise Server sind, die in kritischen Infrastrukturen stehen. Die in Krankenhäusern stehen, dann kann man auch nur erahnen, ja von welchem Nutzen es war, dieses Botnetz letztendlich zu zerstören.

Dass das Ganze möglicherweise dazu führt, dass irgendwann vielleicht in schwer abschätzbarer Zeit wieder ein neues Botnetz kreiert wird und das Ganze wieder von vorne losgeht, das liegt in der Natur der Sache. Mit diesen Straftaten werden unglaubliche Summen verdient, sodass da ein hohes Interesse ist, das Ganze wieder ins Leben zu rufen. Aber jetzt erst mal ist das Botnetz weg und das war für uns ein Riesenerfolg.

Adina Murrer
Ich will noch auf einen weiteren großen Erfolg zu sprechen kommen, nämlich die Zerschlagung der kinderpornografischen Plattform Elysium. Das war im Jahr 2017. Vielleicht können Sie uns da auch nochmal mitnehmen. Was war da jetzt im Vergleich zu der Zerschlagung von Emotet der Unterschied und welche Ausmaße hatte das am Ende?

Andreas May
Elysium beginnt im Prinzip ganz, ganz anders. Elysium beginnt mit dem Hinweis der australischen Behörden. Da sieht man, wie wichtig es ist, weltweit vernetzt zu sein. Die Ermittlungen liefen zunächst, muss man erstmal sagen, relativ schleppend. Wir haben dann ganz anders als hier bei Emotet vermutet, das sind im Prinzip reine Cyber-Ermittlungen. Sehr, sehr technisch haben wir natürlich auch, wie häufig im Darknet, mit verdeckten

Ermittlern gearbeitet. Wir haben verdeckte Ermittler eingesetzt. Wir sind auch hier neue Wege gegangen bei der Täterermittlung und letztendlich ist es uns, und das muss man wirklich sagen, da war ein bisschen Glück dabei, aber auch natürlich zum Schluss, am Ende des Tages waren es sehr glückliche Umstände für uns, hatten wir Zugriff auf einen Beschuldigten, einen Administrator und dieser saß auch noch in unserem Zuständigkeitsbereich.

Das heißt, wir waren originär zuständig für dieses Verfahren. Ja, und dann ist das natürlich immer ein Verfahren, was einem vor eine ganz, ganz große Herausforderung stellt. Man muss sich vorstellen, man hat jetzt Zugang zu einem Backend, man weiß, wo die eigentliche Infrastruktur von Elysium dieser Plattform gehostet ist.

Das heißt aber auch man hat hier im Prinzip unglaublich viele Straftaten, wenn man diese Festplatte jetzt sicherstellen würde oder diesen Server sicherstellen würde. Aber man hat eben keine Straftäter und das heißt, man muss einfach weiter ermitteln. Und das Ganze immer in dem Zwiespalt, dass man natürlich ganz schwere Straftaten sofort aufdecken muss, was auf der anderen Seite aber dann die Gefahr in sich birgt, dass das ganze Verfahren zerplatzt. Das sind hoch belastende Ermittlungen und das muss man sagen.

Und uns ist es gleichwohl hier gelungen, nicht nur die Verantwortlichen zu lokalisieren, sondern auch eine ganze Reihe von Tätern, die schwersten Missbrauch an Kindern begangen haben und dann diese Missbrauchshandlungen in diesem Forum auch veröffentlicht haben.

Adina Murrer
Wie viele Täter waren es am Ende?

Andreas May
Das kann ich momentan nicht sagen. Es ist ja schon einen Augenblick zurück. Es ist, glaub ich auch nicht seriös zu sagen, weil man Folgendes dazu sagen muss: Diese Täter sind natürlich international verstreut und wir geben natürlich alle unsere Informationen, die wir haben, auch an die ausländischen Partnerdienststellen. Und oft kriegen wir da am Ende des Tages nicht mehr die Rückmeldung, wie viele Täter dort im Ausland noch ermittelt worden sind.

Was mir noch präsent ist aus diesem Verfahren: Es hat tatsächlich zu einem der größten Missbrauchsskandale in Österreich geführt. Dort ist ein Täter ermittelt worden, der international vernetzt war, der selbst seine eigenen Kinder, aber auch Kinder, die er betreute, sozusagen professionell missbraucht, also gewerblich zum Missbrauch zur Verfügung gestellt hat. Das sind ganz, ganz schwere Straftaten gewesen, die dann auch in Österreich aufgedeckt werden konnten.

Adina Murrer
Also da sieht man tatsächlich, was die internationale Vernetzung auch am Ende bewirken kann.

Andreas May
Also ja, ohne eine internationale Zusammenarbeit, ohne Partnerdienststellen, ohne eine ganz enge Vernetzung mit den ausländischen Partnerdienststellen ist in unserem Bereich eine erfolgreiche Ermittlungsarbeit überhaupt nicht denkbar.

Adina Murrer
Nimmt man denn das auch mit nach Hause oder wie geht man damit um? Es sind ja schon hochemotionale und schreckliche Sachen, die man dann wahrscheinlich auch sieht.

Andreas May
Also ich muss dazu sagen, ich bin selbst schon lange oder schon seit längerer Zeit nicht mehr im Bereich der Bekämpfung der Kinderpornografie tätig. Ich habe das Ganze über 20 Jahre gemacht und muss gestehen, ich bin auch ganz froh, dass ich nicht mehr machen muss, weil es natürlich belastet. Es gibt so einzelne Verfahren, die bleiben einem besonders in Erinnerung und es brennen sich die Bilder aus diesem Verfahren auch ein. Natürlich versucht man, sehr professionell damit umzugehen, das Ganze eher auf einer rechtlich- und technischen Ebene abzuarbeiten.

Aber es gibt immer wieder mal natürlich Verfahren, wo man – wo man sehr nahe dann auch an die Menschen mit rankommt. Man muss wissen, wir in der ZIT, wir begleiten die Verfahren sehr direkt. Wir sind in aller Regel bei den Durchsuchungen, bei den Festnahmen zugegen. Ich war zwar auch in der Ukraine unmittelbar bei der Durchsuchung zugegen vor Ort, weil wir natürlich auch diese Verfahren mit unserer – mit unserer rechtlichen Expertise unterstützen wollen. Und das ist sicherlich im Bereich sexueller Missbrauch, Kinderpornografie natürlich schon problematisch.

Und wenn man plötzlich so direkt unmittelbar auf ein Opfer trifft, wenn man es selber anhört und sich dann ja über mehrere Stunden manchmal hinweg anhören muss, was dieses Kind erlebt hat. Ich denke, das sind Dinge, die wischt man nicht einfach so weg.

Adina Murrer
Was fehlt Ihnen denn noch, um die Ermittlungsverfahren vielleicht noch effektiver zu gestalten? Was wünschen sich vom Gesetzgeber, wenn man das so formulieren kann?

Andreas May
Ich bin es gewohnt, dass das Leben kein Wunschkonzert ist. Das heißt, dass ich mit dem letztendlich umgehen muss, was mir an rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung steht. Was ich mir persönlich wünschen würde, damit ich mich nicht allzu sehr in Details verstricke, wäre: Ich wünschte mir einmal eine grundsätzliche komplette Überarbeitung unseres Rechts. Unser Recht ist sicherlich – unser Rechtssystem ist ein sehr gutes Rechtssystem, aber es ist eben hoch analog. Es ist überhaupt nicht digital und ich vergleiche so ein bisschen unser Recht immer mit deutschen Straßen.

Es wird wenig neuer Belag, komplett neuer Belag aufgezogen, aber es werden viele Löcher gestopft und man muss sagen, dieses Löcherstopfen und diese, nennen wir es mal Flickschusterei, die führt oft dazu, dass wir sehr, sehr schnell wieder von neuen Ermittlungsproblem stehen. Ich wünschte mir, dass man unser ganzes Rechtssystem, vor allen Dingen die Strafprozessordnung, das heißt unser Handwerkszeug, einmal digitalisiert,

mal einer ganz kritischen Prüfung unterzieht und dass man dann letztendlich Rechtsvorschriften schafft, die völlig unabhängig von eingesetzter Technik funktionieren. Das heißt, die Techniken offen formuliert sind und das sind sie momentan in der Tat nicht, die sich eher an der Eingriffstiefe, einem Grundrechtseingriff orientieren.

Das wäre etwas, was ich mir schon lange wünschte. Aber das ist natürlich etwas, was wahnsinnig schwierig ist, so ein ganzes Rechtssystem mal komplett zu novellieren. Da ist es natürlich viel einfacher, einzelne Vorschriften irgendwie anzupassen. Wie gesagt, ich wünschte, man würde sich unserem gesamten Recht einmal unter diesem Blickwinkel Digitalisierung des Rechts zuwenden.

Adina Murrer
Zu Beginn haben wir mal einen Blick in die Vergangenheit geworfen. Jetzt mal den Blick nach vorne, also 10 Jahre von hier aus, also in 10 Jahren. Wo sehen Sie dann die ZIT bzw. was denken Sie, wie sich gerade auch die Cyber-Kriminalität bis dahin verändern wird? Es ist natürlich eine schwierige Prognose, aber…

Andreas May
Dieser Blick in die Glaskugel ist nahezu unmöglich. Das muss man sagen. Aus meiner Erfahrung heraus wird sich Cyber-Kriminalität immer mehr professionalisieren.

Nehmen wir einfach das Beispiel dieser Ransomware. Wenn wir diese Ransomware-Verfahren am Anfang sehen, da waren Privatleute betroffen, die wurden um relativ kleine Beträge erpresst. Wenn wir das Phänomen Ransomware heute sehen, sehen wir zunehmend, dass Betroffene von Ransomware Großunternehmen sind, behördliche Einrichtungen sind. Dass die Summen, die heute erpresst werden, in eine ganz andere Richtung gehen. Ich glaube, es steht zu befürchten, dass zunehmend ja große Wirtschaftsunternehmen, behördliche Einrichtungen - man sieht es jetzt beispielsweise an dem Solarwinds Hack, so nenne ich ihn mal - auch das ist ja ein ganz interessantes Phänomen, dass man sozusagen eine Lieferkette hinein in Trojaner einbringt, der zufolge hat, dass offensichtlich eine Vielzahl von auch kritischen Infrastrukturen dann betroffen von diesem Hack sind.

Ich glaube, da wird die Reise hingehen und das Ganze macht Cyberkriminalität noch viel, viel, viel gefährlicher. Das heißt, es sind nicht ein paar kleine Script Kiddies, die ein bisschen spielen gehen und sich freuen, wenn sie ein paar Euro erpressen.

Sondern ich denke schon, dass wir uns darauf einrichten müssen, dass wir es mit hoch gefährlichen Angriffen zu tun haben werden. Und diese Angriffe werden uns vor riesige Herausforderungen stellen.

Adina Murrer
Ich will am Ende noch kurz zu dem Abschnitt Hate Speech zu sprechen kommen. Sie sind ja auch, oder die ZIT ist ja auch Kooperationspartner der Initiative „Hessen gegen Hetze“ bzw. auch „Keine Macht dem Hass“. Wie wichtig ist dieses Anliegen und tatsächlich auch die Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz, die ja auch offensichtlich extrem zugenommen hat?

Andreas May
Also uns ist das sehr, sehr, sehr wichtig, weil wir gesehen haben, dass es eben nicht nur bei Hass im Netz bleibt. Dieses Phänomen an sich ist schon mehr als nur unschön. Diese Verrohung der Sprache und des Umgangs miteinander. Aber wir sehen natürlich, dass diese Verrohung von Sprache und Umgang im Netz natürlich dann irgendwann auch umschlägt auf das reale Leben, auf gesellschaftliche Umgangsformen. Bedauerlicherweise sehen wir das in Covid-Zeiten, wo viele, viele Menschen zuhause sind, diese Verrohung von Umgangsformen leider noch zunimmt, das muss man sagen.

Offensichtlich führt ja der geringer werdende direkte Kontakt auch dazu, dass man glaubt, sich im Netz austoben zu müssen. Uns ist das ein echtes Anliegen. Diese Kriminalität zu bekämpfen. Und deswegen ist diese Kooperation, die hier vonseiten des Hessischen Ministeriums geschlossen wurde, auch eine sehr wichtige, weil sie Dinge einbezieht, die wir so nicht leisten können als Strafverfolgungsbehörden. Wir kümmern uns um Strafverfolgung, aber was in der Tat bei uns häufig immer noch zu kurz kommt, sind die Opfer dieser Straftaten.

Da brauchen wir Spezialisten, die sich den Opfern zuwenden. Hate Speech hat ganz andere Mechanismen, die die Bekämpfung erfordern. Beispielsweise das Phänomen der Gegenrede ist ein ganz, ganz wichtiges. Wenn alle Menschen schweigen, dann funktioniert kein vernünftiger Diskurs mehr. Wir haben einen Kooperationspartner, der sich ausschließlich dieser Gegenrede im Netz zugewendet hat. Das sind Dinge, die Strafverfolgungsbehörden nicht auf dem Schirm haben und auch nicht leisten können. Und dementsprechend ist diese Kooperation ein sehr, sehr ganzheitliches System.

Und das macht es aus meiner Sicht so gut, dieses Kooperationsmodell. Jetzt kommt hinzu, dass wir alle hoffen, dass irgendwann das Gesetz zur Hate-Speech-Bekämpfung, so nenne ich es mal ganz untechnisch, umgesetzt werden wird. Dann werden wir auch noch professionellere Strukturen bekommen in Zusammenarbeit wieder mit dem BKA und hoffentlich dann auch diese Massenkriminalität, die momentan wirklich sehr schwer zu verfolgen ist, weil uns die rechtliche Handhabe fehlt, dann auch ein Stück weit besser verfolgen können.

Adina Murrer
Super, dann nehmen wir das als Abschlusswort. Vielen, vielen Dank für den interessanten Einblick in die Ermittlungstätigkeiten und mal schauen, wie sich das so weiterentwickelt. Und viel Erfolg weiterhin bei den anstehenden Ermittlungen. Vielen Dank, Herr May.

Andreas May
Sehr gerne. Wir tun unser Bestes.

Adina Murrer
Ich danke auch allen, die in dieser Folge wieder dabei waren und zugehört haben und freue mich schon auf die nächste Folge, wenn es wieder heißt: „Zeit für Justitia - Der Justiztalk aus Hessen.“