Anlässlich des 75. Jubiläums der Arbeitsgerichtsbarkeit in Hessen besuchte Justizministerin Eva Kühne-Hörmann das Hessische Landesarbeitsgericht und das Arbeitsgericht in Frankfurt am Main. Gemeinsam mit dem Präsidenten des Hessischen Landesarbeitsgerichts Frank Woitaschek und der Präsidentin des Arbeitsgerichts Dr. Bettina Günther beleuchtete die Justizministerin die Geschichte der Arbeitsgerichte in Hessen.
Eva Kühne-Hörmann sagte: „Das Jahr 2021 ist für Hessen ein ganz Besonderes. In diesem Jahr blicken wir auf 75 Jahre Hessen zurück: Eine Zeit, in der unser Land wirtschaftlich erfolgreich, international bekannt und sehr lebenswert geworden ist. Auch die Hessische Landesverfassung wird in diesem Jahr 75 Jahre alt. 75 Jahre Verfassung in Hessen stehen für 75 Jahre Demokratie und Freiheit in unserem Bundesland. Man kann aber nicht von Freiheit und Demokratie sprechen, ohne in einem Atemzug den Rechtsstaat als essentiellen Pfeiler der Freiheitsrechte zu nennen. Und so kommen wir zur hessischen Arbeitsgerichtsbarkeit, die in diesem Jahr ebenfalls ihr 75. Jubiläum begeht und entscheidenden Anteil daran hat, dass Hessen heute so erfolgreich ist. Mein Dank und meine Anerkennung gilt daher allen Bediensteten der hessischen Arbeitsgerichte, die in den letzten 75 Jahren mit großem Engagement und hoher Fachkompetenz an der guten Entwicklung Hessens mitgewirkt haben.“
„75 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit in Hessen bedeutet 75 Jahre Ausgleich zwischen den sozialen Grundrechten der Arbeitnehmer auf der einen Seite und den wirtschaftlichen Grundrechten der Arbeitgeber auf der anderen Seite. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat man erkannt, dass das Arbeitsrecht als Spezialmaterie so fundierter Kenntnisse bedarf, dass eine eigene Fachgerichtsbarkeit erforderlich ist, um in der schwierigen und sensiblen Rechtsmaterie schnell und verlässlich Recht zu sprechen. Und dies war, wie die letzten 75 Jahre in Hessen gezeigt haben, ein richtiger und wichtiger Schritt“, so Eva Kühne-Hörmann.
Frank Woitaschek fügte hinzu: „Heute, 75 Jahre nach ihrer Errichtung, ist die hessische Arbeitsgerichtsbarkeit mit ihren sieben Arbeitsgerichten in Darmstadt, Frankfurt am Main, Fulda, Gießen, Kassel, Offenbach am Main und Wiesbaden sowie dem Hessischen Landesarbeitsgericht als Berufungs- und Beschwerdegericht in Frankfurt am Main für die kommenden Jahre gut und robust aufgestellt. Und angesichts der engagierten Arbeit und dem großen Einsatz aller ihrer Bediensteten kann sie sich mit großer Zuversicht weiter ihrer vornehmen Aufgabe stellen, Recht und sozialen Frieden in Hessen zu sichern.“
Dr. Bettina Günther ergänzte: „Das Arbeitsgericht Frankfurt unterstützt bei der Lösung von Konflikten im Arbeitsleben, befördert den Ausgleich gegensätzlicher Interessen und trägt so zu sozialem Frieden bei.“
Zum Abschluss ging die Justizministerin auf das besondere Engagement der Bediensteten der hessischen Arbeitsgerichte während der Pandemie ein: „Die Corona-Pandemie hat alle Bereiche der Gesellschaft getroffen und auch vor der Justiz nicht haltgemacht. Gerade in arbeitsgerichtlichen Verfahren, die besonders dringlich sind, sind zeitnahe Entscheidungen für die Betroffenen unverzichtbar. In dieser schwierigen Zeit haben Sie alle gemeinsam an einem Strang gezogen, und den Betrieb der Arbeitsgerichte aufrechterhalten. Durch Ihr Engagement und Ihren Einsatz ist es gelungen, die Arbeitsfähigkeit der Arbeitsgerichte in einer Zeit zu gewährleisten, in der in weiten Teilen der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens Stillstand herrschte. Dafür möchte ich Ihnen meinen tiefempfundenen Dank und höchste Anerkennung aussprechen.“
Mit dem Bundesland Hessen feiert auch die hessische Arbeitsgerichtsbarkeit ihren 75. Geburtstag!
Die Arbeitsgerichte nahmen im Oktober 1946 ihre Tätigkeit auf, nachdem durch das Gesetz Nr. 21 des Alliierten Kontrollrats vom 30. März 1946 das Arbeitsgerichtsgesetz von 1926 weitgehend wieder in Kraft gesetzt worden war. Es gab zunächst insgesamt zwölf Arbeitsgerichte, bei denen ein oder zwei Kammern eingerichtet waren. Die Vorsitzenden Richter mussten nicht zwingend Volljuristen sein, ihre Amtszeit betrug drei Jahre mit der Möglichkeit der Wiederbestellung. Diese Besonderheit endete 1961. Neben den Arbeitsgerichten wurde 1946 auch das Landesarbeitsgericht als Berufungsgericht in Frankfurt am Main gebildet. Das war eine Änderung gegenüber dem Arbeitsgerichtsgesetz von 1926, nach welchem das Landesarbeitsgericht noch organisatorisch mit dem Landgericht verbunden war.
Heute arbeiten in Hessen noch sieben Arbeitsgerichte, diese befinden sich in Darmstadt, Frankfurt am Main, Fulda, Gießen, Kassel, Offenbach am Main und Wiesbaden. Überwiegend kleinere Arbeitsgerichte in Bad Hersfeld, Hanau, Limburg, Marburg und Wetzlar sind vor 10 Jahren zum 31. Dezember 2011 aufgelöst worden. Ihre örtliche Zuständigkeit und die Verfahren wurden den größeren Gerichten zugeordnet.
Welche Aufgaben erfüllen die hessischen Gerichte für Arbeitssachen? Sie sind insbesondere zuständig für alle Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern und Arbeitgebern, z. B. wegen Kündigung, Vergütung, Urlaub, Versetzung, Zeugnis usw. Daneben werden Angelegenheiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz und anderen Beteiligungsgesetzen in Beschlussverfahren entschieden. Besondere Aufmerksamkeit erfahren die Arbeitsgerichte, wenn in Eilverfahren um das Verbot eines Streiks gestritten wird, aber auch dann, wenn in Einzelfällen Kündigungen in Zusammenhang mit öffentlich diskutierten Vorfällen oder Missständen erfolgen, wie zuletzt bei dem so genannten „AWO-Skandal“.
Die ein Verfahren beendenden Urteile und Beschlüsse werden fast ausschließlich durch eine Kammer getroffen, die aus einer Berufsrichterin oder einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richterinnen bzw. Richtern besteht. Rechtsstreite vor den Arbeitsgerichten werden meist schnell erledigt. Die durchschnittliche Dauer eines Verfahrens in erster Instanz betrug 2019 knapp vier Monate. Berufungs- und Beschlussverfahren bei dem Landesarbeitsgericht werden überwiegend innerhalb eines Jahres (Stand 2019) erledigt. Auch zu Beginn der Corona-Pandemie haben die hessischen Arbeitsgerichte bereits ab Ende April 2020 wieder ihre Tätigkeit aufgenommen.
2021 arbeiten 106 Berufsrichterinnen und Berufsrichter an den hessischen Arbeitsgerichten und dem Landesarbeitsgericht. Davon sind zwei Drittel Frauen. Die insgesamt über 2500 ehrenamtlichen Richterinnen und Richter werden jeweils zur Hälfte von den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden vorgeschlagen und auf fünf Jahre berufen. Die hessischen Arbeitsgerichte sind schließlich selbst Arbeitgeber von 256 Beschäftigten, davon 35 Beamtinnen und Beamte.