Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat

Kritik am Gesetzesentwurf zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung

Prof. Dr. Roman Poseck: „Es ist der völlig falsche Zeitpunkt, die Strafjustiz mit zusätzlichen Aufwänden und rechtlichen Risiken zu belasten. Justizentlastung ist das Gebot der Stunde. Die zügige und effiziente Bearbeitung von Strafverfahren dient der Wahrheitsfindung, der Gerechtigkeit und dem Rechtsfrieden.

Die Bundesregierung hat einen Gesetzesentwurf zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz - DokHVG) vorgelegt. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, eine digitale Inhaltsdokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung erster Instanz vor den Oberlandesgerichten und Landgerichten anzufertigen.

Hessens Justizminister Roman Poseck erklärte hierzu heute in seiner Rede im Bundesrat zu dem Gesetzesentwurf:

„Der deutsche Strafprozess steht für eine hohe Qualität. Der Mehrwert durch das Gesetz zur digitalen Dokumentation ist zweifelhaft. Nachteile liegen dagegen auf der Hand. So ist unter anderem ein erheblicher personeller und organisatorischer Mehraufwand zu erwarten. Es ist der völlig falsche Zeitpunkt, die Strafjustiz mit zusätzlichen Aufwänden und Risiken zu belasten. Unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften tragen trotz personeller Verstärkungen bereits eine hohe Belastung. Schwierige und komplexe Strafverfahren nehmen zu. Justizentlastung ist daher das Gebot der Stunde.

Es ist anzuerkennen, dass der Bundesjustizminister den aus der Praxis vorgetragenen Bedenken ein Stück weit entgegenkommen ist. So sieht der Entwurf entgegen ursprünglicher Planungen nun nicht mehr allein die Videoaufzeichnung vor, sondern er lässt daneben auch die Tonaufzeichnung zu. Hierdurch ist das Vorhaben aber nur teilweise entschärft worden. Auch für die Tonaufzeichnung muss die erforderliche Infrastruktur aufgebaut und unterhalten werden. Die erforderliche Transkription wird weitere personelle Kapazitäten binden. Unterschiedliche Aufzeichnungsarten in den Ländern führen außerdem zu einer Rechtszersplitterung. Das ist bedenklich: In einer der zentralen Verfahrensordnungen ist ein ‚justizpolitischer Flickenteppich‘ kein guter Weg.

Auch der Deutsche Richterbund, die Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte sowie die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte haben in seltener Einmütigkeit auf schwerwiegende Bedenken gegen das aktuelle Vorhaben hingewiesen. Sie befürchten erhebliche Gefahren für die Hauptverhandlung und die Wahrheitsfindung im Strafprozess. Diese Bedenken gilt es ernst zu nehmen: Es ist zu besorgen, dass Zeuginnen und Zeugen anders agieren oder gar ihre Aussage verweigern, wenn sie wissen, dass ihre Aussagen aufgenommen werden. Dies gilt insbesondere bei belastenden oder besonders intimen Details, wo zusätzlich ungeklärte Fragen des Persönlichkeitsschutzes aufgeworfen sind. So ist die Gefahr groß, dass Teile der Verhandlung im Netz landen könnten. Die Überlassung von Transkripten während der laufenden Hauptverhandlung birgt darüber hinaus die Gefahr, dass Zeuginnen und Zeugen ihr Aussageverhalten anpassen.

Schon heute dauern viele Strafprozesse in Deutschland zu lange. Der sich abzeichnende Streit über die Transkription und Einsichtnahmen in diese während eines laufenden Prozesses wird absehbar zu weiteren Verzögerungen führen. Und dies wiederum wird sich nachteilig auf die Bearbeitung sonstiger Strafverfahren und Gerichtsverfahren insgesamt auswirken. Schließlich bestehen rechtliche Unsicherheiten, wie sich die Aufzeichnung auf die Revision auswirken wird. Es besteht die Gefahr, dass die bestehende Grenze zwischen Tatsachen- und Rechtsinstanz erodiert.

Das aktuelle Vorhaben passt leider in das Bild der Justizpolitik dieser Bundesregierung. Vorhaben, die die Justiz in den Ländern immer weiter belasten, werden mit Hochdruck betrieben, Gesetzesvorhaben mit Entlastungseffekten dagegen auf die lange Bank geschoben. Und der fest zugesagte Pakt für den Rechtsstaat mit personeller Unterstützung des Bundes für die Länder ist dem Rotstift zum Opfer gefallen. Ich fordere die Bundesregierung auf, diese Prioritätensetzung zu überdenken.

Eine schnelle und zügige Bearbeitung eines Strafverfahrens dient der Wahrheitsfindung, der Gerechtigkeit und dem Rechtsfrieden. Es ist Zeit für Gesetzentwürfe, die diesem Ziel dienen und nicht für Vorhaben, die dieses gefährden.“