Justizminister Poseck am Rednerpult im Hessischen Landtag

Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat

„Pakt für den Rechtsstaat: Versprochen - gehalten!“

Justizminister Roman Poseck führte heute in seiner Regierungserklärung in Wiesbaden aus: „Wir leben in herausfordernden Zeiten. Viele Menschen sind verunsichert. In diesen Zeiten gilt es mehr denn je, Verlässlichkeit zu stärken und den Menschen Sicherheiten zu geben. An dieser Stelle kommt dem Rechtsstaat eine zentrale Rolle zu.

Ein starker Rechtsstaat schafft Sicherheit. Er gibt Orientierung. Er schützt die Demokratie und er schützt jeden einzelnen Bürger. Der Rechtsstaat lebt von Vertrauen. Der Grad des Vertrauens hängt maßgeblich davon ab, wie die Menschen unseren Rechtsstaat wahrnehmen. Konsequenz, Handlungsfähigkeit und Berechenbarkeit des Rechtsstaats sind dabei von entscheidender Bedeutung.

Es ist eine zentrale Aufgabe der Politik, den Rechtsstaat aktiv zu stärken.

Hessen handelt. Wir haben einen Pakt für den Rechtsstaat aufgelegt, der auch länderübergreifend seinesgleichen sucht. Wir haben in den vergangenen 14 Monaten starke Akzente für unseren Rechtsstaat gesetzt.

Pakt für den Rechtsstaat: Versprochen – gehalten!

Das Herzstück des Paktes für den Rechtsstaat ist und bleibt zweifelsohne die deutliche personelle Stärkung unserer Justiz.

  • 477 zusätzliche Stellen in allen Laufbahnen in zwei Jahren sind die größte personelle Stärkung der hessischen Justiz, die es je gegeben hat.
  • In diesem Jahr wurden bereits 112 Neueinstellungen von Richtern und Staatsanwälten im Richterwahlausschuss beschlossen. Zum gleichen Zeitpunkte des Vorjahres waren es 54. Die Zahlen konnten also mehr als verdoppelt werden.
  • Zum 1. April 2023 hat der neue Senat für Infrastrukturvorhaben beim Verwaltungsgerichtshof seine Arbeit aufgenommen. Dieser wurde mit drei zusätzlichen Richterstellen besetzt und ist Grundlage für die beschleunigte gerichtliche Bearbeitung von Planungsverfahren.
  • Die Anzahl der Strafkammern an den Landgerichten konnte deutlich erhöht werden.
  • Seit Oktober 2022 hat es in Hessen keine Aufhebungen von Haftbefehlen wegen Verfahrensverzögerungen mehr gegeben. Das ist eine positive Entwicklung.

Die hessische Landesregierung hat die Justiz in den vergangenen fast zehn Jahren deutlich verstärkt. 2014 hatte Hessen 387,5 Stellen für Staatsanwälte. 2024 werden es 506,5 Stellen sein. Unter der schwarz-grünen Landesregierung gab es einen Personalzuwachs von 119 Staatsanwälten in zehn Jahren, also ein Plus von mehr als 30 %. Ähnlich verhält es sich bei den Richterstellen. 2014 gab es 1.175 Richterstellen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit. 2024 werden es 1.390 Stellen sein. Ein Plus von 215 Stellen bzw. eine Steigerung um fast 20 %.

Mit zahlreichen Maßnahmen haben wir die Attraktivität der hessischen Justiz als Arbeitgeber in den vergangenen 14 Monaten gesteigert und die Arbeitsbedingungen für die Bediensteten verbessert:

  • Die Besoldung der Richter und Staatsanwälte wurde durch die Streichung von zwei Erfahrungsstufen maßgeblich erhöht. Diese Maßnahme wurde auf alle übertragen, die sich in diesen Erfahrungsstufen befinden; das sind mehr als 60 % der Staatsanwälte und Richter. Hessen ist damit auf Platz 2 bei den Einstiegsgehältern vorgerückt. Beim Endgehalt stehen wir auf Platz 5.
  • Für Richter und Staatsanwälte wurde das Hinausschieben des Ruhestandes bis zum vollendeten 68. Lebensjahr ermöglicht. 10 Anträge liegen nach kurzer Zeit bereits vor.
  • Berufseinsteiger haben die Möglichkeit an einem Mentorenprogramm teilzunehmen.
  • Die Einführung der Justizassistenz wird Referendaren eine Nebentätigkeit in der Justiz ermöglichen.
  • Mit der Assessorbrücke erhalten Berufsanfänger einen schnelleren Einstieg in die Justiz.
  • Durch die Gewährung voraussetzungsloser Teilzeit ist mehr Flexibilität im nicht-richterlichen Dienst möglich.
  • Die befristeten Verträge wurden auf ein Mindestmaß zurückgeführt und in diesen Wochen mehreren hundert Bediensteten unbefristete Verträge angeboten. Nach einem Jahr wird jetzt regelhaft entfristet.
  • Aktuell wird an dem größten Höhergruppierungsprogramm der Geschichte gearbeitet. Ungefähr 2.800 Beschäftigte in den Serviceeinheiten werden zukünftig in einer höheren Entgeltgruppe eingruppiert und damit deutlich besser bezahlt.
  • Tarifbeschäftigte im Allgemeinen Vollzugsdienst werden grundsätzlich ab ihrer Einstellung um zwei Stufen höher eingruppiert. Die Anwärter erhalten höhere Zuschläge.
  • Die Zulagen für den Dienst zu ungünstigen Zeiten, wie am Wochenende und im Nachtdienst wurden seit dem 1. Juli 2023 um rund 25 Prozent erhöht.

Hessen treibt die Digitalisierung der Justiz erfolgreich voran:

Vor einem guten Jahr gab es Pilotversuche in einzelnen Spruchkörpern von drei Gerichten. Heute, etwa Jahr später, ist die elektronische Akte in 29 Gerichten eingeführt. Zwei Gerichtsbarkeiten, nämlich die Sozial- und die Verwaltungsgerichtsbarkeit, sind inzwischen komplett mit der E-Akte ausgestattet.

Die Akzeptanz bei den Bediensteten ist hoch. Wir konnten alle Zeit- und Kostenpläne einhalten. Auch beim Einsatz künstlicher Intelligenz in der Justiz ist Hessen führend. Das Projekt Frauke beim Amtsgericht Frankfurt, das künstliche Intelligenz in Massenverfahren, nämlich Fluggastrechteverfahren, einsetzt, ist deutschlandweit beachtet und ausgezeichnet. Mit einem weiteren KI-Projekt für Massenverfahren, Codefy, werden wir in den nächsten Wochen beim Landgericht Frankfurt starten. Ebenso unmittelbar bevor steht der Startschuss für professionelle Workshops für die Justizbediensteten zum Nutzen von KI.

Der Pakt für den Rechtsstaat ist kein Selbstzweck. Er dient den Menschen in unserem Land und schafft Verlässlichkeit sowie Sicherheit. Ein starker Rechtsstaat schützt alle.

In folgenden vier Bereichen kommt es auf den Schutz durch einen starken Rechtsstaat ganz besonders an:

1. Wir müssen Frauen schützen und alle Anstrengungen unternehmen, um die Fallzahlen häuslicher Gewalt zu senken.

Hessen ist bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt gut aufgestellt. Die bei allen örtlichen Staatsanwaltschaften eingerichteten Sonderdezernate und das flächendeckend umgesetzte Marburger Modell ermöglichen ein frühzeitiges und konsequentes Handeln. 150 Femizide pro Jahr in Deutschland sprechen für die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen.

Wir sollten die Möglichkeit des Einsatzes der elektronischen Fußfessel im Kontext des Gewaltschutzgesetzes schaffen, um Maßnahmen effektiver überwachen zu können. Die Fußfessel würde einen erheblichen Gewinn an Sicherheit für betroffene Frauen bedeuten. Verstöße fallen sofort auf; es kann meistens noch rechtzeitig reagiert werden. Außerdem hat das Wissen um das Bekanntwerden des Verstoßes eine hohe präventive Wirkung.

2. Wir müssen den Zusammenhalt und die Vielfalt in unserer Gesellschaft schützen.

Es ist unerträglich, dass Angriffe aus rassistischen, antisemitischen, homophoben oder transphoben Motiven zunehmen. Diese Entwicklung ist auch eine Folge des Erstarkens des rechten Randes in unserem Land.

Auch in den Parlamenten wird inzwischen gezielt Stimmung gegen Minderheiten gemacht. Wer Sündenböcke sucht, Spaltung vorantreibt und wer Hass sät, trägt die Verantwortung für die daraus entstehende Gewalt. Die fließenden Übergänge vom Rechtspopulismus zum Rechtsextremismus bis hin zum Rechtsterrorismus sind eine große Gefahr für unsere Demokratie, den Rechtsstaat und die Menschen.

Vergangene Woche Freitag, am 14. Juli 2023, haben wir bei der Generalstaatsanwaltschaft einen Beauftragten für die Verfolgung von LSBTIQ*-feindlichen Straftaten eingerichtet. Wir setzen damit ein starkes Zeichen, dass wir die Vielfalt in unserer Gesellschaft mit den Mitteln des Rechtsstaats verteidigen.

3. Wir müssen Kinder schützen.

Die Fallzahlen von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie sind viel zu hoch. Hinter den Zahlen stehen schreckliche Einzelschicksale. Ich möchte mich auch an dieser Stelle für eine begrenzte Speicherung von IP-Adressen aussprechen. Nur so kann der Rechtsstaat konsequent handeln. Wir sind es den Kindern schuldig, dass wir dem Interesse an der Aufklärung dieser Verbrechen den Vorrang gegenüber dem Datenschutz einräumen.

Konkret schlage ich eine Speicherfrist für IP-Adressen, also für Verbindungsdaten, von einem Monat vor. Dieser Zeitraum wäre kurz genug, um den Anforderungen des EuGHs zu entsprechen und auch kürzer als in vielen anderen europäischen Ländern. Er wäre aber lang genug, um deutlich mehr Ermittlungserfolge im Bereich des Kindesmissbrauchs zu ermöglichen.

In der BKA-Studie vom 23. Juni ist konkret aufgeführt, dass bei einer Speicherung von einem Monat 90 Prozent der bisher nicht aufgeklärten Taten doch aufgeklärt werden könnten. Die Fälle ohne Ermittlungserfolg würden nach der Erwartung des BKA von 66.000 auf 6.500 sinken. Dies zu erreichen, muss unser gemeinsames Ziel sein. Die Verwertung der Verbindungsdaten ist, wie der EuGH entschieden hat, auf die Bekämpfung schwerster Kriminalität zu begrenzen. Dazu zählt beispielsweise auch der Kampf gegen den Terrorismus.

Gleichzeitig ist die Speicherung auf schwerste Straftaten zu begrenzen. Der Katalog des
§ 100g Abs. 2 Strafprozessordnung kann hier den Rahmen bieten. Mord, Totschlag sowie Straftaten des Terrorismus und des Kindesmissbrauchs wären damit auf alle Fälle erfasst. 

4. Wir müssen Amtsträger und Einsatzkräfte schützen.

Auch an dieser Stelle haben wir in den letzten Monaten in Hessen weitere Akzente gesetzt und Sonderdezernate bei allen hessischen Staatsanwaltschaften eingerichtet. Die Strafverfolgungsbehörden in Hessen handeln konsequent und zügig. Ich will beispielhaft darauf verweisen, dass die Staatsanwaltschaft Darmstadt wegen der Ausschreitungen in der Silvesternacht in Dreieich bereits Anklage erhoben hat.

Aus aktuellem Anlass will ich auch deutlich machen: Die bei dem sogenannten Eritrea-Festival in Gießen angegriffenen und verletzten Polizisten können sich ebenfalls auf den Rechtsstaat verlassen. Dieser ist hier aufgerufen, Konsequenz zu zeigen und klare Grenzen zu setzen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass diejenigen, die unseren Rechtsstaat auf der Straße zur Geltung bringen, zum Angriffsobjekt werden.

Die Stärkung unseres Rechtsstaats ist eine Daueraufgabe. Wir haben in den vergangenen 14 Monaten viel erreicht. Dennoch dürfen wir mit den Anstrengungen für einen starken Rechtsstaat auch in der Zukunft nicht nachlassen. Das gilt in personeller wie in organisatorischer Hinsicht.

Ich trete dafür ein, den im vergangenen Jahr begonnenen Pakt für den Rechtsstaat auch in der kommenden Legislaturperiode fortzusetzen und weiterzuentwickeln.

Daneben brauchen wir ein Ethos für die Grundlagen und die Werte unseres Rechtsstaats.

Dieses Ethos leben die in der Justiz Beschäftigten jeden Tag. Es verbindet aber auch die große Mehrheit in der Bevölkerung und die demokratischen Parteien unseres Landes.

Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt unseren Rechtsstaat trotz aller Anfeindungen und Bedrohungen in eine gute Zukunft zu führen.“